AL12CR21

AS (2012) CR 21

 

Provisorische Ausgabe

SITZUNGSPERIODE 2012

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(3. Teil)

BERICHT

21. SITZUNG

Dienstag, 26. Juni 2012, 10.00 Uhr

REDEBEITRÄGE AUF DEUTSCH

Andrej HUNKO, Deutschland, UEL/GUE

(Dok. 12948)

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Ich glaube, die Debatte, die wir heute führen werden, wird ausgesprochen wichtig sein, denn Europa befindet sich in einer tiefen Krise.

Ich habe den Bericht über die Austeritätspolitik als Gefahr für Demokratie und Menschenrechte übernommen und möchte kurz daran erinnern, wie dieser Bericht entstanden ist und was wir im Ausschuss dazu gemacht haben.

Der Bericht entstand vor einem Jahr, als wir hier über die Staatsverschuldung in Europa sprachen; ich war damals Berichterstatter für den Sozialausschuss. Damals beschloss unser Ausschuss, es sei besser, den Aspekt der Austerität in einem eigenen Bericht zu behandeln. Wir hielten im Ausschuss eine Reihe von Hearings ab. Allen, die daran teilnahmen, möchte ich sehr herzlich danken. Wir hörten damals Herrn Professor Flassbeck, Chefvolkswirt der UNCTAD, sowie Vertreter der Zivilgesellschaft aus Spanien und Griechenland, die von Austeritätsprogrammen konkret betroffen waren und uns ihre Lage schilderten. In Paris hörten wir einen Bericht von Professor Arne Heise, der uns die Entwicklung in den einzelnen europäischen Ländern sehr genau darstellte.

Das Wichtigste, was wir gegenwärtig feststellen müssen, zwei bis drei Jahre, nachdem in den verschiedenen Ländern Austeritätsprogramme aufgelegt wurden, ist wohl, dass wir ein Problem haben. Unser Menschenrechtskommissar, Herr Muiznieks, war gerade in Portugal und hat uns gestern im Ausschusses die Situation dort beschrieben, insbesondere, was junge Menschen, Kinder und ältere Menschen sowie Roma betrifft. Mir müssen ein Signal setzen, denn wir haben konkret ein Problem mit der Austeritätspolitik, die gegenwärtig in Europa durchgeführt wird.

Ich möchte kurz auf das zentrale Argument eingehen, das dahinter steht. Es wird gesagt, wir müssten diese Programme durchführen, weil wir ein Problem mit der Staatsverschuldung haben. Diese sei aufgrund unverantwortlicher Haushaltsführung zustande gekommen, u.a. wegen zu hoher Sozialprogramme.

Doch wenn man sich die Zahlen der Europäischen Zentralbank anschaut, stellen wir fest, dass in der Eurozone die Staatsverschuldung von 2000 bis 2008 von 72 auf 67% gesunken und erst danach dramatisch angestiegen ist. Derzeit beträgt sie etwa 90%. Die Ursache für diesen Anstieg waren nicht Sozialprogramme der Staaten, sondern große Bankenrettungspakete, die ab 2008 aufgelegt wurden und die Staaten in Schwierigkeiten brachten. Jetzt sagt man uns: Wir haben die privaten Banken gerettet, müssen das auch weiterhin tun und außerdem die Sozialleistungen kürzen, um den Haushalt wieder in Gang zu bringen.

Ich teile die Ansicht des Wirtschaftsnobelpreisträgers Paul Krugman, der schrieb: „Es ist die große europäische Täuschung, dass die Staatsverschuldung aufgrund unverantwortlicher Haushaltsführung Ursache der Krise ist“; - sie ist eigentlich eher Folge der Krise.

Gestern musste sich Zypern unter den Rettungsschirm begeben. Die Staatsverschuldung ist in Zypern 20% niedriger als in Deutschland: Sie liegt in Deutschland bei knapp 90%, gegenüber 70% in Zypern. Das Problem existiert dennoch und liegt m.E. daran, dass wir eine Krise im Bankensektor haben. Dadurch werden die öffentlichen Haushalte gezwungen, diese Banken zu retten und schließlich Austeritätsprogramme aufzulegen, die dann die Schwächsten der Gesellschaft betreffen.

Diese Versammlung, die auf Menschenrechten und Demokratie basiert, sollte ein ganz klares Signal aussenden, dass wir hier eine Fehlentwicklung haben. Dieser Bericht, den ich vorgelegt habe, ist an vielen Stellen natürlich ein Kompromiss, aber er macht wohl deutlich, dass wir gegenwärtig in die falsche Richtung gehen und Korrekturen vornehmen müssen.

Vielen Dank.

Stefan SCHENNACH, Österreich, SOC

(Dok. 12948, 12951, 12944)

Danke sehr Herr Präsident!

Anders als mein Vorredner möchte ich einem Linken, einem Konservativen und einem Sozialdemokraten zu drei hervorragenden Berichten gratulieren, die alle zusammen gehören und auch alle einstimmig im Sozialausschuss abgestimmt wurden.

Der österreichische Ökonom Stephan Schulmeister, der schon einmal auf demselben Level wie Keynes genannt wurde, warnt. Er sagt, was die Politik derzeit macht, ist wie Selbstmord zu begehen aus Angst vor dem Tod oder sich den Märkten zu unterwerfen, um nicht von den Märkten beherrscht zu werden.

Was bedeuten diese Sparprogramme? Diese automatisch kollektive Sparpolitik bedeutet, dass wir den Startschuss für eine Depression und eine Rezession geben. Es bedeutet den stückchenweisen Abbau des Sozialstaates. Unser Kommissar für Menschenrechte hat gestern gesagt, diese Sparpolitik enthält den Menschen bereits Menschenrechte vor - er war in mehreren Ländern und hat das eindrucksvoll bewiesen.

Kommen wir zum Jugendbericht. Es ist vollkommen in Ordnung, den spanischen Banken mit 100 Mrd. zu helfen, aber wo sind die 100 Mrd. zur Bekämpfung der europäischen Jugendarbeitslosigkeit? Auf die warte ich, denn wir brauchen sie: Es gibt 6 Mio. arbeitslose Jugendliche in Europa und keine wirklich effizienten Programme. 50 % sind es in Griechenland, 50 % in Spanien und 38 % in Italien.

Die jungen Menschen wollen sich am Ende ihrer Schulzeit beweisen, doch nicht einmal die Ausbildung nützt ihnen etwas. Sie kommen in prekäre Beschäftigungen, werden auf Traineestellen oder in Praktika abgeschoben und bekommen am Ende, 30 Jahre später, nicht einmal ausreichend Geld aus der Pension. All das wirkt zusammen, und gerade jetzt fahren wir mit diesen Sparprogrammen die Jugendbeschäftigungsprogramme zurück!

Kommen wir zu den Kommunen. Sie sind die einzigen, die lokale Nachfrage und Arbeitsplätze schaffen. Schluss mit den Diskussionen in Europa, dass die Daseinsvorsorge und kommunale Dienstleistungen privatisiert werden! Wir entziehen durch diese übertriebenen Sparprogramme den Kommunen das Geld für die Handlungsfähigkeit.

In dieser Hinsicht hat Hollande Recht. Wir brauchen eine Investitionsoffensive, und zwar jetzt. Dieses Sparen führt nur zu einer höheren Arbeitslosigkeit, was wesentlich teurer ist als Investitionen. Ein Staat ist kein privates Konto; das scheinen diejenigen unter uns, die zum Sparen aufrufen, zu vergessen.

Der Staat muss jetzt gegeninvestieren, denn die Kosten, die wir derzeit mit der Arbeitslosigkeit haben, sind wesentlich höher.

Ich gratuliere allen drei Berichterstattern zu ihrer hervorragenden Arbeit.

Erich Georg FRITZ, Deutschland, EPP/CD / PPE/DC

(Dok. 12948, 12951, 12944)

Herr Vorsitzender,

liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir haben hier drei Berichte vorliegen, wobei für mich der Bericht zur Jugend im Zentrum steht, denn die Zukunft der Jugendlichen ist die Zukunft schlechthin. Bei der hohen Jugendarbeitslosigkeit ist die Perspektive nicht da – das verändert ein Leben grundsätzlich. Wenn wir aber weiter Schulden machen, laden wir genau diesen Jugendlichen für später auch noch eine Last auf, die sie überhaupt nicht tragen können.

Auch der Bericht zu den Gemeinden trifft den richtigen Ton. Wir haben in Deutschland durch zwei Programme zur Bewältigung der Krise gerade über die Kommunen den schnellsten Effekt sowohl für die Beschäftigung von Menschen als auch für Ausbildung usw. geschafft, sodass wir sagen, ja, dieser Weg ist richtig.

Dann haben wir einen Bericht, der sich mit der Sparpolitik und der Demokratie und den sozialen Rechten beschäftigt. Dieser hat es der Versammlung natürlich erlaubt, eine ganz wichtige Diskussion zu führen; im Ausschuss war sie sehr spannend. Doch hat diese Diskussion trotz der Bereitschaft des Berichterstatters zu Kompromissen auch dazu geführt, klarzumachen, dass diese Versammlung trotz aller Bemühungen nicht der richtige Ort ist, volkswirtschaftliche Strategien zu entscheiden und dafür Vorschläge zu machen.

Zum Schluss läuft es ja doch auf die Kernfrage hinaus, ob die Schuldenpolitik in Europa an eine Grenze gestoßen ist. Dazu sagen wir: Ja, es gibt keine weitere Möglichkeit, Schulden anzuhäufen. Vor allen Dingen kann man Geld immer nur einmal ausgeben. Wer jetzt eine Politik betreibt, in der weitere Schulden aufgehäuft werden, der wird dafür sorgen, dass am langen Ende die nächste Generation einen Berg abzutragen hat, den sie nicht bewältigen kann.

Wir haben uns mit diesem Bericht sehr schwer getan. Wir haben, lieber Herr Hunko, eine Reihe von Änderungsanträgen diskutiert, glauben aber, dass der Bericht auch durch Änderungsanträge eigentlich nicht zu einer Form gebracht werden kann, in der er allgemein konsensfähig wäre.

Ganz besonders bedanke ich mich bei dem isländischen Minister, Herrn Sifgússon, für seinen Beitrag, denn er hat gezeigt, was für einen Bericht in der Versammlung eine Grundlage hätte sein können: Er hat einen Appell für politische Gestaltung gehalten. Er hat gesagt, die Probleme müssen angepackt werden, man muss auf Eigeninitiative setzen - nicht warten, sondern handeln, nicht klagen, sondern Lösungen suchen, eigene Verantwortung übernehmen und an die nachfolgenden Generationen denken.

Ich glaube, wer das tut, muss sowohl auf Wachstum setzen, auf Zukunft für die Jugend, als auch Schuldenpolitik eindämmen.

Alfred HEER, Schweiz, ALDE / ADLE

(Dok. 12948, 12951, 12944)

Geschätzter Herr Vorsitzender!

Ich möchte dem Minister aus Island für die Maßnahmen, die er ergriffen hat, herzlich danken. Man sieht daran, dass mit vernünftigen Maßnahmen sogar eine hoffnungslose Situation gerettet werden kann.

Bezüglich den Berichten möchte ich folgende Punkte festhalten:

Es wurde hier vor allem von linker Seite festgehalten, dass die derzeit betriebene Sparpolitik die Ursache der großen Krise sei. Tatsache ist aber, dass die Sparpolitik in Europa nie stattgefunden hat, dass sogar zu Zeiten der Hochkonjunktur, auch im europäischen Umfeld die allermeisten Staaten hohe Defizite geschrieben haben und eine hohe Verschuldung aufweisen. Sie haben den Sozialstaat ausgebaut, aber sie haben ihn mit Schulden ausgebaut. Das ist kein nachhaltiges Wachstum. Deswegen darf man sich nicht wundern, wenn dann eine Krise entsteht, wenn das nicht mehr finanzierbar ist und wenn wir immer tiefer in den Schlamassel geraten.

Es nützt nichts, den Sozialstaat durch die Aufnahme von noch mehr Schulden stärken zu wollen, denn Rechnung dafür wird dann den kommenden Generationen präsentiert werden. Die Situation wird dadurch nicht verbessert. Ich denke, dass wir in Europa Wirtschaftswachstum und in verschiedenen Ländern eine liberalere Gesetzgebung brauchen. Wir brauchen weniger Bürokratie, weniger Korruption und ein Umfeld, das es Firmen erlaubt, zu investieren, zu prosperieren und, gerade auch für Jugendliche, Arbeitsplätze zu schaffen.

Der falsche Weg ist sicherlich derjenige, die Steuern immer stärker zu erhöhen. Wenn Sie ein Herz für die sozial Schwachen haben, dann sollten Sie nicht unbedingt beispielsweise die Mehrwertsteuer, die Fahrzeugsteuer oder die Mineralölsteuer erhöhen, denn dadurch werden vor allem die Kleinverdiener und Familien mit Kindern betroffen.

Ich bitte Sie also, vernünftige Maßnahmen zu ergreifen. Auch mir ist nicht ganz wohl, wenn der IMF eine solche Macht hat und wenn die Staatsdefizite durch neue, frisch gedruckte Euros gedeckt werden. Ich denke, das ist der falsche Weg. Damit laufen wir Gefahr, in eine große Inflation zu geraten, wobei wiederum die Kleinsparer die Leidtragenden sein werden.

Es führt leider kein Weg an einer vernünftigen Politik vorbei, und diese beinhaltet auch Sparmaßnahmen. Ansonsten kommen wir aus dieser Situation, in der sich Europa heute befindet, nicht mehr heraus.

An dieser Stelle kann auch festgehalten werden, dass die Einführung des Euro eine Fehlkonstruktion war, auch wenn man das hier in diesem Saal vielleicht nicht gerne hört.

Maximilian REIMANN, Schweiz, ALDE / ADLE

(Dok. 12948, 12951, 12944)

Danke, Herr Präsident,

geschätzte Kolleginnen und Kollegen!

Aus Zeitgründen äußere ich mich lediglich zum Bericht von Herrn Hunko. Dies nicht zuletzt deshalb, weil auch ich seine Schlussfolgerungen und Empfehlungen für weitgehend untauglich halte, um die aktuellen finanz-, wirtschafts- und sozialpolitischen Probleme zu lösen.

Als Nicht-Mitglied der zuständigen Kommission für Soziales und nachhaltige Entwicklung möchte ich zudem meinem Erstaunen darüber Ausdruck geben, dass diese politisch doch breit abgestützte Kommission einen derart linkslastigen Bericht überhaupt durchgelassen hat.

Ebenso muss man sich – angesichts der uns präsentierten Empfehlungen – grundsätzlich die Frage stellen, ob die Zuweisung dieses Berichtes an einen Vertreter der deutschen Partei „Die Linke“ nicht ein Irrweg war.

Nichts gegen Herrn Hunko persönlich, das ist klar! Aber seine politische Heimat, die Nachfolgeinstitution der kommunistischen Einheitspartei SED in der ehemaligen DDR, ist meines Erachtens nicht dafür prädestiniert, Europa aus der Schuldenkrise herauszuführen.

Im erläuternden Teil des Berichtes bin ich mit dem Kollegen Hunko aber doch ab und zu einig, auch das sei klar gesagt. Da spricht er gelegentlich selbst einem eingefleischten Schweizer Demokraten aus dem Herzen. Ich denke etwa an das von ihm zitierte Demokratiedefizit, das zweifellos die Misswirtschaft in vielen Staatshaushalten gefördert hat.

Oder ich denke an die von ihm aufgeworfene Kritik an der zu zentralistischen, zu schnellen europäischen Integrationspolitik, sowie an die mit viel Lorbeeren vorangetriebene Einführung des Euro in Ländern, die hierfür noch gar nicht reif waren und nun darunter leiden. Da waren Krisen fürwahr vorprogrammiert.

Diesen Krisen aber nun mit Maßnahmen zu begegnen, wie sie uns großmehrheitlich vorgeschlagen werden, das kann ich nicht befürworten. Auch die Drohung mit der „Gefahr für die Demokratie“, wenn man da nicht mitmache, ändert nichts, aber auch gar nichts, an dieser meiner Haltung.

Wer glaubt, mit massiven Steuererhöhungen auf höhere Einkommen und Unternehmensgewinne könnten nachhaltig neue Arbeitsplätze geschaffen und der Wohlfahrtsstaat ausgebaut werden, der verkennt doch die Realitäten. Wer sich zusätzliches Heil von einer neuen europaweiten Finanztransaktionssteuer verspricht, der nimmt doch schlicht und einfach die Abwanderung ganzer Märkte auf andere Kontinente in Kauf.

Ich könnte mir sehr wohl eine Finanztransaktionssteuer vorstellen, aber wenn schon, dann weltweit, und nicht beschränkt auf Europa.

Kein Wort bei den Empfehlungen hingegen zur staatlichen Schuldenbremse. Mit diesem vom Schweizer Volk nota bene schon vor zehn Jahren mit gewaltiger Mehrheit abgesegneten Instrument machte man in meinem Land ausgezeichnete Erfahrungen. Man schrieb seit zehn Jahren keine Defizite mehr und konnte sogar auf allen Ebenen – Bund, Kantonen und Gemeinden – die Schulden abbauen.

Deshalb ein klares Nein zu diesem Bericht – zurück mit ihm an die Kommission. Dafür Ja zu den beiden anderen Berichten, insbesondere zu demjenigen über die Situation der Jugend.

Stefan SCHENNACH, Österreich, SOC

(Dok. 12972)

Sehr geehrter Herr Minister,

ich möchte Ihr Stichwort Menschenhandel aufgreifen. Interpol-Fachexperten sagen, dass der Frauenhandel in Europa bereits ein größeres Problem als der Drogenhandel darstellt. Das ist organisierte Kriminalität auf höchstem Niveau.

Die Frauen kommen aus den Ländern Russland, Ukraine, Weißrussland, Rumänien und Moldawien, während die Händler und die Auktionen in Ex-Jugoslawien und Albanien sind.

Sieht das Ministerkomitee hier nicht einen dringenden Handlungsbedarf ?