AL12CR26

AS (2012) CR 26

 

Provisorische Ausgabe

SITZUNGSPERIODE 2012

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(3. Teil)

BERICHT

26. SITZUNG

Donnerstag, 28. April 2012, 15.30 Uhr

REDEBEITRÄGE AUF DEUTSCH

Stefan SCHENNACH, Österreich, SOC

(Dok. 12949)

Sehr geehrter Herr Präsident!

Ich habe ihn noch im Monitoring-Ausschuss gesehen; er ist hier also irgendwo schon an der Arbeit.

Liebe Frau Berichterstatterin, als jemand, der viel mit dem Mittelmeerraum zu tun hat, bin ich von Ihrem Bericht tief beeindruckt und kann Ihnen nur von Herzen für Ihre Arbeit gratulieren. Ich freue mich aber auch, dass der Präsident der verfassunggebenden Versammlung Tunesiens hier ist.

Ob der Arabische Frühling gelingt, hängt von Tunesien ab, wo diese Bewegung begonnen hat. Außerdem bringt Tunesien dafür eine ganz besondere Voraussetzung mit: das hohe Bildungsniveau im Land, die unglaublichen Chancen und Möglichkeiten, die die jungen Menschen in Tunesien an ihren Universitäten vorfinden.

Es hängt in Tunesien alles an der Frauenfrage. Ich habe vor wenigen Minuten einen Bericht einer palästinensischen Juristin bekommen, die gerade in Tunesien war. Sie schreibt: „In keinem arabischen Land zuvor, welches ich bereist habe, stand das Thema Frauenrechte und Gleichberechtigung so im Fokus der öffentlichen und privaten Diskussionen wie in Tunesien.“

Das Bewusstsein für Gleichberechtigung und Emanzipation der Frauen ist in der tunesischen Gesellschaft stark ausgeprägt. 1956 wurden Polygamie und Verstoßung abgeschafft, das Frauenwahlrecht, ein neues Scheidungsrecht, das Recht auf Bildung für Frauen eingeführt und die Familienplanung legalisiert, und 1973 wurde auch die Abtreibung legalisiert. Weiter schreibt diese Juristin: „Diese Errungenschaften gelten für die breite Mehrheit der Bevölkerung als Fundament ihrer Gesellschaft und als unumkehrbar.“

Nur geht die Polizei natürlich ganzen Reihen von Randalen nicht nach, weil sie ja selbst mit einem Regime kollaboriert hat. In einem anderen Bericht aus Tunesien steht, der Umstand, dass die Aktivitäten der Salafisten, das Herunterreißen der tunesischen Fahne und demonstrative körperliche Aggressionen, nicht sanktioniert werden, habe Ängste und Sorgen vor einer neuen Diktatur geweckt. Viele empfinden, dass sich Tunesien noch in einem rechtsfreien Raum befindet und man gerade radikalen Gruppen freien Raum lässt, zumal die Salafisten der Regierungspartei Ennahda angehören, wenn auch nur am rechten Rand, und die Polizei sich bewusst zurückhält.

Herr Präsident, als Vorsitzender im Rahmen der Union für das Mittelmeer (UfM) ersuche ich Sie als verfassungsgebenden Präsidenten, endlich den Ausschuss zu besetzen, der in Rabat nach Tunesien gegangen ist: den Ausschuss für Frauenrechte. Die Besetzung dieses Ausschusses, für den Tunesien für die gesamte UfM den Vorsitz innehat, ist m.E. besonders wichtig und würde in der Diskussion in Ihrem Land ein sehr wichtiges Signal setzen. Ob die Demokratie in Tunesien gelingt, das wird sich am Umgang mit den Frauen und an ihrer Sicherheit zeigen.

Annette GROTH, Deutschland, UEL/GUE

(Dok. 12950)

Vielen Dank!

Ich werde auf Deutsch sprechen und später, wenn wir die Diskussion haben und die Fragen und Amendements kommen, zu Englisch übergehen.

Es fällt mir nach dem Gehörten über Tunesien etwas schwer, jetzt zu einem anderen Thema zu kommen. Ich gehe davon aus, dass die meisten zumindest die Zusammenfassung unseres Berichts über die Roma in Europa gelesen haben.

Wir haben uns auf die Vorurteile gegenüber Roma konzentriert, die es zu bekämpfen gilt und die auch zu den Hauptursachen für alltägliche Diskriminierung und leider auch für Gewalttaten und Verfolgung von Roma in einigen europäischen Ländern zählen.

Eines der sehr weit verbreiteten Vorurteile ist die vorherrschende Meinung, dass alle Roma Nomaden sind, d. h. dass sie auf der Suche nach Arbeit, einem besseren Leben und dergleichen umherziehen. Dieses Vorurteil ist sehr manifest und besteht schon seit sehr vielen Jahrzehnten, aber es stimmt nicht. Die Tatsache ist, dass nur 5% bis allerhöchstens 20% der Roma in Europa so genannte Nomaden, auch Travellers genannt, sind.

Ein zweites Vorurteil ist die weit verbreitete Meinung, dass alle Roma Ausländer sind. Dies stimmt nun schon gar nicht, weil Roma seit mindestens 700 Jahren in Europa leben und ein integraler Bestandteil unserer europäischen Gesellschaft und Kultur sind, die ja zum Glück auch sehr divers ist, wofür wir sehr dankbar sind.

Das dritte Vorurteil – und das finde ich sehr schlimm – ist die vorherrschende Meinung, dass Migration von Roma illegal ist. Mit anderen Worten: migrantische Roma sind illegal. Dabei sind doch die meisten Roma Staatsbürger der EU-Mitgliedsstaaten: Entweder sind sie deutsche Roma, griechische, türkische oder bulgarische Roma und dergleichen. Das heißt, wenn sie EU-Staatsbürger sind, haben sie das Recht auf Freizügigkeit und Mobilität, was in einigen Ländern jetzt drastisch eingeschränkt wird.

Wenn man glaubt, dass Migration oder Roma-Migranten illegal sind, dann setzt man auch häufig illegal mit kriminell gleich; das aber gilt es nun wirklich zu bekämpfen, denn das ist nun in keiner Weise wahr. Die Auffassung, dass Roma kriminell sind, betteln gehen und auf Kosten anderer leben, muss man leider häufig in unseren Zeitungen und Zeitschriften lesen. Ich denke, es ist unsere Aufgabe, massiv dagegen vorzugehen, es überall zu entkräften und zu verurteilen, wenn wir so etwas lesen. Gerade wir als Politiker und Politikerinnen und Journalisten und Journalistinnen haben hierbei eine große Aufgabe.

Ich denke, um diesen Vorurteilen entgegenzutreten, muss man gleichzeitig auch die wirkliche strukturelle Diskriminierung von Roma in allen Bereichen betonen, ob das der Zugang zu Bildung, der Zugang zu Wohnungen und insbesondere der Zugang zum Arbeitsmarkt ist. Es sind überproportional viele Roma arbeitslos; das gilt im Übrigen auch für Ausländer, die in unseren Ländern leben.

Hier sind wir gefragt und etliche Länder haben schon gehandelt: Sie haben nationale Aktionspläne verabschiedet, um eine positive Diskriminierung für Roma zu erwirken, d. h. sie besonders auf Schulen zu fördern, ihnen auf dem Wohnungsmarkt billigen Wohnraum anzubieten und dergleichen mehr.

Was ich als besonders dringlich erforderliche Maßnahme empfinde – und darum bittet das Ministerkomitee ja auch in unserem Bericht – ist, die Mitgliedsstaaten nachdrücklich aufzufordern, Massenabschiebungen von Roma zu stoppen und ihre Politik der Zwangsrückführungen von Roma in den Kosovo so lange auszusetzen, bis sie nachweislich sicher und von Dauer sind.

Was das bedeutet, wird an dem Beispiel von Frankreich, Großbritannien und auch anderen Ländern deutlich, die Roma in großer Zahl in den Kosovo abgeschoben haben, obwohl sie EU-Staatsbürger, Bulgaren und Rumänen, waren. Mein eigenes Land, Deutschland, hat das auch getan. Sämtliche Organisationen, die sich mit Asylfragen beschäftigen und etliche Politiker und Politikerinnen - ich auch - verurteilen das ganz stark.

Wir dürfen keine Menschen, ob Roma oder nicht, die in Deutschland oder anderen unserer Länder aufgewachsen sind, die die Sprache in Kosovo nicht sprechen und für die die Umgebung völlig fremd ist, ausweisen. Das ist eine krasse Menschenrechtsverletzung, das muss man auch so aussprechen.

Ebenso dringlich muss die Maßnahme ergriffen werden, staatenlosen Roma eine Nationalität bzw. einen Pass zu geben, denn ein Mensch ohne Pass existiert eigentlich nicht. Es ist heutzutage das wichtigste Dokument, um zu zeigen, wer wir sind und eröffnet auch viele andere Möglichkeiten.

Wir vom Europarat sind den Menschenrechten verpflichtet und sollten uns daher mit allen Kräften für Menschenrechte einsetzen, die für alle Menschen gelten, egal aus welchem Land sie kommen, ob sie Roma sind oder nicht.

Ich denke, das ist eine der größten Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen. Wir müssen dafür sorgen, dass strukturelle Diskriminierung der Roma in Europa aufhört, denn das entspricht nicht den Konventionen, die unsere Regierungen unterschrieben haben und die dadurch täglich verletzt werden.

Danke schön!

Ansprache von Rudko KAWCZYNSKI, Vorsitzender des European Roma and Travellers Forum (Dok. 12950)

Herr Vorsitzender,

meine sehr verehrten Damen und Herren!

Ich freue mich, heute hier bei Ihnen sein zu können und im Namen des Roma-Forums zu Ihnen sprechen zu dürfen.

Kein anderes Volk in Europa wurde seit Jahrhunderten so systematisch diskriminiert, verfolgt, vertrieben wie wir, die sogenannten Zigeuner. An keiner anderen europäischen Nation, mit Ausnahme der Juden, wurde über die Jahrhunderte so viel Unrecht begangen wie an uns, den Roma. Über keine andere Nation wurde so viel Unsinniges und Diffamierendes geschrieben wie über uns.

Um so mehr freut es mich, dass der Bericht von Annette Groth einen großen Teil von Wahrheit ans Licht bringt – objektiv, ohne aufzutragen, sachlich und in der Tradition der Parlamentarischen Versammlung. Seit Jahren weist diese Parlamentarische Versammlung auf die andauernde Diskriminierung der Roma in den Mitgliedsstaaten des Europarates hin. In allen ihren Berichten wird auf die Grausamkeiten, die wir erdulden müssen, hingewiesen und es werden Abhilfen aufgezeigt.

Doch diese Berichte lassen leider die Verantwortlichen in der Regel kalt. Obwohl alle internationalen Institutionen die Verfolgung der Roma in Europa anprangern, fahren viele Regierungen mit ihrer Roma-Politik fort. Besonders erschreckend ist, dass immer mehr Regionen zu einer offenen Anti-Roma-Strategie übergegangen sind. Die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien ist nur ein Beispiel von vielen mit neuen Sonderregelungen gegen Roma.

Seit letztem Jahr besteht ein spezielles Ausreiseverbot für Roma aus der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien, an den Grenzen werden Roma selektiert und an der Ausreise aus ihrem eigenen Land gehindert. Wie vor 22 Jahren an der Berliner Mauer, als Bürger ihr Land nicht verlassen durften, werden heute Roma daran gehindert, das Land zu verlassen, während alle anderen Bürger ungehindert fahren dürfen, wohin sie wollen. Nicht zuletzt war die Reisefreiheit der Grundbaustein des OSZE-Prozesses. Die DDR und die Sowjetunion wurden wegen ihrer Ausreisepolitik an den Pranger gestellt. Die Berliner Mauer war das Symbol der Unterdrückung, der Menschenrechtsverletzung und der Unfreiheit. Doch nicht einmal die kommunistischen Regierungen in der schlimmsten Zeit des Stalinismus gingen so weit, speziell einer ethnischen Minderheit die Ausreise zu verbieten.

Mittlerweile sind Hunderten die Pässe abgenommen worden, Hunderten werden die Pässe durch den Vermerk „AZ“ ungültig gemacht und sie werden dadurch stigmatisiert. Dieses Vorgehen ist für uns Roma unerträglich. Schon einmal, im „Dritten Reich“, wurden die Pässe von Roma mit dem Kürzel „AS“ für „asozial“ gestempelt. Viele haben ihre Arbeitsplätze in Montenegro und Serbien verloren, weil sie am Verlassen der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien gehindert werden. Viele dürfen nicht zu Familienfeiern oder Beerdigungen von Verwandten. Seit kurzem können Ausreisewillige und besonders Rückkehrer mit hohen Strafen belegt werden, weil ihnen die so genannte „illegale Ausreise“ vorgeworfen wird.

Zugleich werden immer mehr Roma-Siedlungen zwangsweise aufgelöst, die Häuser zerstört, ganze Familien mit Kindern auf die Straße gesetzt. Siedlungen, die z.T. seit mehr als 300 Jahren existieren, werden von heute auf morgen für illegal erklärt. Um den Roma das Land zu nehmen, werden die Minderheiten kriminalisiert.

Doch kein Erschauern darüber, dass in einem europäischen Land im 21. Jahrhundert, welches bald der Europäischen Union angehören soll, europäische Grundrechte mit den Füßen getreten werden. Während Europa in der Welt Bürgerrechte einfordert, werden den Roma systematisch Bürgerrechte, wird das Recht auf Bildung, Familienzusammenführung, Schutz der eigenen Sprache, Schutz vor Vertreibung und das Recht auf körperliche Unversehrtheit verweigert.

Während Europa in der Welt Menschenrechte einfordert, werden Roma-Siedlungen mit Beton ummauert, um sie von den Mitbürgern zu segregieren, Frauen zwangssterilisiert, Kinder weggenommen, wird den Roma in vielen Gegenden die ärztliche Versorgung verweigert, sind Roma-Frauen und –Kinder der Medienhetze ausgeliefert oder sogar dem Polizeiterror ausgesetzt.

Der Antiziganismus ist in den letzten Jahren in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Offen werden die Opfer dieser europäischen Roma-Dekade zu Tätern gemacht. Vielen Roma bleibt nur noch die Flucht aus diesem Europa, weil sie das Vertrauen in die Politik verloren haben. Viele Aktivisten und Intellektuelle verlassen Europa, emigrieren nach Kanada und Australien, um den antiziganistischen Schikanen in Europa zu entfliehen. Die Armen und Verzweifelten bleiben hier.

Mehr als eine Million Roma sind durch die Bürgerkriege im ehemaligen Jugoslawien vertrieben worden, doch anstatt die Probleme dieser Menschen zu thematisieren, haben viele Staaten eine Art „Verschiebe-Strategie“ entwickelt. Familien werden von einem Land in das andere und wieder zurück deportiert. Seit fast 20 Jahren werden Roma daran gehindert, sich niederzulassen. Mittlerweile gehen Roma-Flüchtlingsorganisationen wie der RNC von fast zwei Millionen hin- und hergeschobenen Menschen in Europa aus. Ohne Hoffnung, ohne Arbeit und Bildung leben die meisten von der Hand in den Mund. Dass Menschen in so einer Situation von der rechten Bahn abkommen, ist schnell geschehen – durch Verzweiflung, Hunger und Elend. Das ist das Schicksal vieler Flüchtlinge und Vertriebenen.

Europa taumelt am Rande des Abgrunds. Die Krisen an den Finanzmärkten reißen nicht ab, der Nationalismus ist auf dem Vormarsch, Extremisten haben die Minderheiten als neue, die Roma als alte Sündenböcke für ihre Zukunftsängste wiederentdeckt. Es vergeht kein Tag, an dem nicht in irgendeinem Winkel Europas Roma überfallen und vertrieben werden. Wie die Schwarzen in der Zeit des Ku-Kux-Klan in den Südstaaten der USA werden Roma heute in manchen Teilen Europas gejagt und sogar getötet. Über 70% der europäischen Bevölkerung ist antiziganistisch eingestellt, fast die Hälfte der Bevölkerung der Europäischen Union würde Arbeitslager für Roma befürworten.

Die Politik verliert immer mehr den Bezug zur Realität und bekämpft die Roma als Problem und nicht die Probleme der Roma. Regierungen internationaler Organisationen beginnen wieder, die Roma als Objekte ohne Mitspracherecht zu behandeln. Um so mehr ist es nötig, zu zeigen, dass es auch anders geht. Im letzten Jahr haben Sie, die Parlamentarische Versammlung des Europarates, und wir, das ERTF, ein Kooperationsabkommen geschlossen und eine intensive Zusammenarbeit begonnen mit dem Ziel, die Mitgliedsstaaten des Europarates zu einem Umdenken zu bewegen.

Ich bin mir bewusst, dass dieser Bericht kein sofortiges Umdenken bei den politisch Verantwortlichen bewirken wird, aber ich weiß, dass ohne die Arbeit der Parlamentarischen Versammlung der Ministerrat und seine Regierungen ungestört weitermachen würden. Wir sind fest davon überzeugt, dass nur durch eine starke und partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Ihnen und dem ERTF und seinen Mitgliedsorganisationen durch intensive Aufklärung und Monitoring genug Druck ausgeübt werden kann, um auf die Regierungen der Mitgliedsstaaten Einfluss zu nehmen, damit diese den Ernst der Lage in Europa erkennen.

Europa ist auf dem besten Wege, seine eigenen Werte zu demontieren und sich für eine ganze Nation von fast 15 Millionen Roma in einen Apartheids-Apparat zu verwandeln, in dem Menschen- und Bürgerrechte für alle gelten, außer für Roma. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass der Europarat, diese wunderbare Institution, ihrer Aufgabe treu bleibt und alle ihre Möglichkeiten einsetzt, um uns nach mehr als 700 Jahren Verfolgung und Vertreibung aktiv zu unterstützen, unsere Rechte als gleichberechtigte europäische Bürger zu erlangen. Wir sind bereit, unseren Teil zu dem Gelingen dieses großen Vorhabens beizutragen, und wir sind uns sicher: Sie sind es auch.

Ich danke Ihnen.

Stefan SCHENNACH, Österreich, SOC

(Dok. 12950)

Sehr geehrter Herr Präsident,

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Sehr geehrte Frau Groth!

Nicht nur Ihr Bericht, sondern auch die Situation der Roma in Europa ist der Spiegel des kollektiven europäischen Versagens – egal ob im ehemaligen Osteuropa oder in Westeuropa – beim Umgang mit der wohl größten Minderheit, die auf viele Staaten aufgeteilt ist.

Es ist im Grunde – das hat auch der Präsident unserer Versammlung schon gesagt – eine katastrophale Situation, die eigentlich zunimmt. Ungefähr 12 Millionen Roma sind autochthone Bürger und Bürgerinnen Europas. Wir verweigern ihnen das Recht auf Wohnung, Arbeit, medizinische Versorgung, Ausbildung und hier beginnt der gesamte Teufelskreis.

Herr Präsident Kawczynski hat einen Satz gesagt: „Man bekämpft die Roma als Problem und nicht die Probleme der Roma.“ Das ist die Geschichte und Tragik der letzten Jahrzehnte.

Fassen wir die Situation der Roma kurz zusammen: eine Lebenserwartung von knapp 50 Jahren und eine Kindersterblichkeit, wie sie keine andere Bevölkerungsgruppe in Europa kennt.

Schauen wir uns nun die Situation in verschiedenen Ländern an:

- In der Slowakei gehen 80 % der Roma-Kinder auf Schulen für geistig behinderte Kinder.

- In Bulgarien liegt die Schulabbruchsrate bei den Roma-Kindern bei über 30 % und über 40 % der Roma-Kinder kommen aus Familien mit Ernährungsproblemen.

- In Rumänien wird 5 % der Roma-Kinder die Geburtsurkunde sowie Identitätsausweise verweigert. Das bedeutet in der Folge immer wieder keinen Zugang.

Auch in meinem Land, Österreich, hat es lange gedauert. Erst in den Neunzigerjahren haben wir den Roma das Recht zuerkannt, eine autochthone Minderheit mit allen daraus entstehenden Rechten zu sein. Es mussten vier Roma in terroristischen Akten getötet werden, damit Österreich die Notwendigkeit erkannte, in den Roma-Siedlungen Maßnahmen zu ergreifen, z. B. die Straßen zu asphaltieren.

Aber bei jedem Blick in den Spiegel - es muss auch gesagt werden, dass Roma Opfer einer organisierten Kriminalität sind, an der auch Roma beteiligt sind. Es gibt unter den Roma sowohl Opfer als auch Täter. Es ist eine Katastrophe, wenn, wie in der Slowakei, Tschechien und Ungarn geschehen, Probleme so gelöst werden, dass man eine Roma-Siedlung mit einer Betonmauer vom Rest der Stadt abschneidet und sozusagen nicht mehr hinter die Mauer blickt.

Aber es gibt auch Probleme, bei denen die Roma ihrerseits etwas tun müssen. Eine Romni sagt: Die Roma-Community muss auch aus ihrer Opferrolle herauskommen und selbst aktiv mitarbeiten und auch eingestehen, dass sie selbst manchmal in der organisierten Kriminalität Handlanger für Täter ist. Hier geht es um Menschenhandel, Frauenprostitution sowie das Zwingen von Kindern zu Bettelei zur Arbeit.

Rudko KAWCZYNSKI, Präsident des European Roma and Travellers Forum (Antwort, Dok. 12950)

Danke, Herr Vorsitzender!

Ich möchte noch ganz kurz die Gelegenheit wahrnehmen, um die Anfragen des Kollegen aus Mazedonien zu beantworten. Zunächst einmal: ich habe nicht Mazedonien mit dem „Dritten Reich“ verglichen, sondern eher mit der Deutschen Demokratischen Republik.

Zweitens haben wir bereits vor vielen Monaten Ihren Ministerpräsidenten angeschrieben und um Aufklärung gebeten, weil uns derartige Beweise vorlagen. Bis heute haben wir keine Antwort bekommen. Wir haben daraufhin vom 22. bis zum 28. Mai Mazedonien besucht und dort mit allen Roma-Parteien und sowohl mit Betroffenen selbst als auch mit Politikern gesprochen.

Langer Rede kurzer Sinn: Von allen Seiten wurde uns bestätigt, dass das gängige Praxis ist, dass Roma an den Grenzen überprüft und ausgesondert werden und dass dies nicht bei anderen Volksgruppen geschieht. Ich kann schon verstehen, dass Sie aufgeregt sind, dass Belgien und andere Staaten Druck auf Mazedonien ausüben. Das mag wohl so sein, aber es ändert nichts an der Tatsache, dass hier eine Menschenrechtsverletzung vorliegt, die so nicht hinnehmbar ist.

Danke.