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AS (2014) CR 14
Provisorische Ausgabe

 

SITZUNGSPERIODE 2014

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(2. Teil)

BERICHT

14. Sitzung

Mittwoch, 09. April 2014, 10.00 Uhr

 

Axel E. FISCHER, Deutschland, EPP/CD / PPE/DC

(Dok. 13451, Bericht)

Sehr geehrter Herr Präsident,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

meine Damen und Herren!

Es ist mir eine große Freude, zusammen mit meiner Kollegin Frau Jaana Pelkonen diese gemeinsame Debatte zu Fragen der Internet Governance zu führen.

Das Internet hat unsere Welt verändert, insbesondere im letzten Jahrzehnt. Über das Internet kommunizieren wir miteinander, erhalten unsere täglichen Informationen, erledigen Geschäfte, treten mit Verwaltungen in Kontakt und vieles mehr. Ohne das Internet könnte unsere heutige Gesellschaft nicht mehr so existieren, wie wir es aktuell gewohnt sind. Diese allumfassende Präsenz von Internetdiensten wird sich durch das Cloud Computing und das Internet der Dinge sogar noch verstärken.

Der Europarat wurde 1949 geschaffen, um eine größere Einheit zwischen seinen Mitgliedsstaaten zu erreichen auf der Basis gemeinsamer Werte. Deshalb ist es wichtig, dass diese Parlamentarische Versammlung sich mit den Fragen einer Internet Governance auf der Basis gemeinsamer Werte befasst. Hier sind vor allem die Europäische Menschenrechtskonvention zu nennen, aber auch die Konvention zum Cybercrime und die Datenschutzkonvention 108.

Das Recht auf Internetzugang ist ein solcher Aspekt. Die Parlamentarische Versammlung hatte bereits die Gelegenheit, Resolutionen zur Informationsfreiheit im Internet sowie zum Datenschutz zu verabschieden. Ich hatte bereits 2008 hier einen Bericht zum e-Learning präsentiert.

Wenn wir uns heute mit dem Thema Verbraucherschutz und –sicherheit beschäftigen, dann geschieht dies vor dem Hintergrund eines gewachsenen Bewusstseins in der Bevölkerung, dass das Internet auch Risiken birgt, wie jeder andere Bereich menschlichen Handelns übrigens auch.

Vor kurzem wurden erneut Millionen von eMail-Adressen und Passwörtern in Deutschland gestohlen. Die Enthüllungen von Edward Snowden haben uns gezeigt, wie offen das Internet ist, das heißt, wie leicht man Daten ausspionieren und stehlen kann. Jeder von uns bekommt täglich unerwünschte Massenemails oder Spam. Viren, Cookies und Einbrüche in unsere Daten fallen meist erst dann auf, wenn es zu spät ist und ein Schaden bereits entstanden ist.

Internetdienste sind nur dann erfolgreich, wenn sie sich auf das Vertrauen der Benutzer stützen können. Das Vertrauen wurde jedoch durch die genannten und weitere Vorfälle stark erschüttert. Deshalb ist es heute sehr wichtig, Verbraucherschutz und –sicherheit zu stärken.

Der Ihnen heute durch meinen Ausschuss und mich vorgelegte Bericht stellt eine Reihe von Grundsätzen auf, die notwendig sind, um einen angemessenen Verbraucherschutz zu gewährleisten:

An erster Stelle finden Sie den Schutz der Privatsphäre. Artikel 8 der Menschenrechtskonvention verpflichtet Mitgliedsstaaten, einen solchen Schutz sicherzustellen. Internetbenutzer in Europa können sich darauf verlassen, dass die Staaten eine ausreichende Internetregulierung schaffen, die die Privatsphäre und personenbezogene Daten schützt.

Hierfür ist typischer Weise eine Verschlüsselung der Internetdienste notwendig. Die Verschlüsselung sollte jedoch keine Option oder ein kostspieliger Zusatz sein, sondern die Regel. Gleiches muss für Schutzsoftware gegen Viren oder Spam gelten. Die einzelnen Verbraucher wären überfordert, wenn sie sich in die technischen Einzelheiten einer Firewall oder eines Anti-Viren-Programms einarbeiten müssten. Übrigens hat jedes Auto heute ab Fabrik ein Antiblockiersystem der Bremsen und Airbags, da man von Autofahrern kein Studium der Kfz-Technik erwarten kann, bevor sie sich ans Lenkrad setzen.

Das Strafrecht gilt im Internet ebenso wie in der realen Welt – soweit man beide überhaupt voneinander trennen kann. Deshalb müssen die Staaten die Probleme der Anwendung von nationalem Strafrecht im Internetbereich klären. Hierzu hat der Europarat mit der Konvention zum Cybercrime weit über Europa hinausreichende Standards gesetzt.

In diesem Bereich sind einzelne Fragen des Verbraucherschutzes noch offen, wie etwa der Schutz des Eigentums. Letzterer ist ein Menschenrecht gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention, sodass unsere Bürger von uns erwarten können, dass wir den Schutz dieses Rechts verbessern.

Ich hatte bereits Cloud Computing erwähnt. Diesbezüglich stellt sich die große Frage: Wo ist diese Datenwolke rechtlich? Kann man die Wolke auch offshore und somit außerhalb des Schutzbereichs der in den meisten europäischen Staaten existierenden Regeln lagern?

Gewerbliche Anbieter von Internetdiensten können von einem höheren Verbraucherschutz und dem daraus resultierenden Verbrauchervertrauen profitieren. Deshalb ist es sinnvoll, von solchen Anbietern Transparenz und hohe Standards zu erwarten.

Soweit Verbraucherrechte verletzt wurden, sollten die betroffenen Verbraucher unproblematische rechtliche Hilfe erhalten. Hierfür gibt es z.B. in Deutschland und anderen Staaten außergerichtliche Streitschlichtungsstellen. Man kann auch an Stellen für Verbraucherschutz im Internet-Unternehmen denken. Jedenfalls muss es als ultima ratio Zugang zu einem Gericht geben.

Schließlich befasst sich mein Bericht auch mit einigen grundlegenden Fragen der Internet Governance. Mein Kollege Herr Shlegel wird in Zukunft zu diesem Thema einen detaillierten Bericht vorlegen. Es ist jedoch schon im Bereich Verbraucherschutz wichtig, die aktuelle Diskussion über Internet Governance kurz anzusprechen.

Die Kollegen Shlegel und Le Déaut sowie der Rechtsausschuss haben eine Reihe von Änderungsanträgen gestellt. Ich bin ihnen dafür sehr dankbar. Viele der Anträge kann ich befürworten, da sie den Bericht sinnvoll ergänzen und einzelne Fragen auch vertiefen.

Deshalb lege ich der Parlamentarischen Versammlung heute den Bericht mit der Bitte um Annahme vor und freue mich auf eine interessante Diskussion.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

Axel E. FISCHER, Deutschland, EPP/CD / PPE/DC

(Dok. 13451, Antwort des Berichterstatters)

Herr Präsident,

liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich möchte mich bei allen Rednerinnen und Rednern sehr herzlich für die Aussprache bedanken und unterstreichen, dass Ihre positiven Anmerkungen gezeigt haben, welch große Bedeutung das Internet hat, dass wir als Parlamentarische Versammlung unsere Aufgabe ernst nehmen, das Thema auch von der Frage der Menschenrechte her betrachten und die Menschenrechtskonvention auch im Internet berücksichtigt sehen wollen, also auch den Schutz der Privatsphäre für wichtig halten.

Es wurde u.a. das Thema Spionage im Netz angesprochen. Zu den Auswirkungen der Snowden-Affaire wird Herr Kollege Omtzigt einen eigenen Bericht vorlegen. Wirtschaftsspionage ist ein Problem; es gibt viele solcher Probleme, die wir beraten müssen.

Auch fand ich interessant, dass deutlich gemacht wurde, dass wir international handeln müssen, dass es uns nichts nützt, wenn nationale Staaten entsprechend vorgehen, sondern dass wir ein breites Regelwerk brauchen. Kollege Le Déaut hat von der „internationalen Ethik“ gesprochen, die wichtig sei. Ich glaube, es ist sinnvoll, einmal über Ethik im Internet zu diskutieren.

Ganz kurz möchte ich auf Herrn Jenssen eingehen, der meint, der Änderungsantrag 4 stelle eine Schwächung dar. Wenn man es auf den Punkt direkt bezieht, könnte man durchaus zu der Ansicht kommen, dass der Änderungsantrag, der „unsere“ Konvention herausnimmt und von „regionalen“ spricht, eine Schwächung darstellt. Wenn Sie aber in die Empfehlungen schauen, sehen Sie, dass dort explizit alles noch einmal aufgeführt wird.

Daher hätten wir meiner Meinung nach keinerlei Schwächung dieses Berichts, wenn man den Änderungs- zusammen mit dem Unteränderungsantrag annehmen würde, der ebenfalls gestellt wird, denn wie gesagt wird in den Recommendations ganz klar auf unsere Dinge verwiesen wird, und diese haben ja auch weiterhin Gültigkeit.

Abschließend möchte ich mich sehr herzlich beim Sekretariat für die gute Zusammenarbeit bedanken. Ihnen allen möchte ich noch einmal für die sehr guten Redenbeiträge danken und hoffe, dass Sie alle bereit sind, den Bericht nach der Abstimmung der Änderungsanträge auch anzunehmen.

Herzlichen Dank.

Amendments zu Dok. 13451:

Axel E. FISCHER, Deutschland, EPP/CD / PPE/DC

(Dok. 13451, Subamendment 01, Amendment 18)

Vielen Dank, Herr Präsident!

Wir finden das Anliegen richtig und gut und möchten ergänzen, dass wir auch noch auf die nationalen Bereiche hinweisen. Deshalb soll einfach hinten angefügt werden: or their national association. Ich denke, der Antragsteller wird wahrscheinlich mit dem Unterantrag einverstanden sein.

Axel E. FISCHER, Deutschland, EPP/CD / PPE/DC

(Dok. 13451, Subamendment 01, Amendment 04)

Herr Präsident, wir haben das Thema ja vorhin auch auf Hinweis von Herrn Jenssen diskutiert. Wir stellen diese Unterantrag, possibly zu streichen, weil dann deutlich wird, was wir wollen. Ich unterstreiche für alle Anwesenden noch einmal: Selbstverständlich ist unsere Datenschutzkonvention des Europarats bindend, und sie stehen in den Recommendations extra auch noch einmal explizit drin.

Axel E. FISCHER, Deutschland, EPP/CD / PPE/DC

(Dok. 13451, Subamendment 01, Amendment 06)

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben das Thema im Ausschuss ausführlich diskutiert und verstehen den Grundansatz, den Herr Shlegel mit den Kolleginnen und Kollegen, die mit unterzeichnet haben, anspricht aber das sind die Hinweise an das Ministerkomitee und wir können das nicht so, wie es dort formuliert ist, an das Ministerkomitee weitergeben, weil das Komitee diese Forderung einfach nicht erfüllen kann.

Deshalb haben wir einen Unteränderungsantrag, der fordert, dass wir einen Action Plan machen und das Ministerkomitee auffordern, einen Action Plan zu machen. Ich glaube, wenn ich Herrn Kollegen Shlegel richtig eingeschätzt habe, ist er mit diesem Unteränderungsantrag auch einverstanden und wir kommen damit der Intention seines Antrags nach.

Frau Anne BRASSEUR, Präsidentin der Parlamentarischen Versammlung des Europarates

(Ansprache von Dr. Heinz Fischer, Bundespräsident der Republik Österreich)

(Anfang der Anrede auf Englisch)

Herr Bundespräsident, Sie wissen, dass die Kultur im Europarat einen sehr hohen Stellenwert genießt. Österreich ist natürlich in diesem Bereich sehr privilegiert. In Ihrem Land, insbesondere Ihrer Hauptstadt, wimmelt es geradezu von Kulturgütern. Ich bin sicher, dass dieses kulturelle Ambiente zum Gelingen der Ministerkonferenz Anfang Mai beitragen wird.

Herr Bundespräsident, es ist für uns eine sehr große Ehre, Sie hier willkommen zu heißen. Ich habe die Ehre, Ihnen das Wort zu erteilen.

Dr. Heinz Fischer, Bundespräsident der Republik Österreich

Ansprache

Sehr geehrte Frau Präsidentin,

hoch geschätzte Delegierte zur Parlamentarischen Versammlung des Europarates,

meine sehr geehrten Damen und Herren!

Ich möchte mich bei Ihnen, Frau Präsidentin, sehr herzlich bedanken für das freundliche Willkommen und die guten Worte an die Adresse Österreichs, die ich ja an Ihre Heimat, Luxemburg, in vollem Umfang zurückgeben könnte, was die Rolle in Europa und das Engagement für Europa betrifft.

Aber es ist wahr, dass ich gerne zum Europarat und in diesen Saal zurückkehre nach meiner Tätigkeit in den 1980er Jahren. Meine Wertschätzung für den Europarat ist in den seither vergangenen fast 25 Jahren absolut unverändert geblieben.

Darüber hinaus ist es ja so, dass zahlreiche Themen, die im Europarat diskutiert werden, wie z.B. Verfassungsfragen, Fragen der demokratischen Entwicklung unserer Gesellschaft, Grundrechtsfragen, Minderheitenrechte, außenpolitische Themen, immer schon auf mein besonderes Interesse auch als österreichischer Parlamentarier gestoßen sind.

Im Grunde stehen ja alle diese Fragen in einem inneren Zusammenhang: Es geht um europäische Werte, um unser gemeinsames Menschenbild, es geht um den Aufbau einer friedlichen, menschenwürdigen Gesellschaft und um Rechtsstaatlichkeit. Es geht um Ethik in der Politik und auch um die uralte, schwierige Frage, wie wir uns dagegen wehren und verhindern können, dass in der Politik und der Gesellschaft der Grundsatz gilt, wonach der Zweck die Mittel heiligt.

Dies ist ein sehr verlockender und verhängnisvoller Grundsatz; es ist kein Zufall, dass dieses Thema auch in der Literatur, bei Arthur Koestler, Manès Sperber, Leszek Kołakowski und vielen anderen eine große Rolle spielt.

Sehr geehrte Präsidentin, Österreich ist dem Europarat am 16. April 1956 beigetreten, also auf eine Woche genau vor 58 Jahren. Kein einziges dieser 58 Jahre der Mitgliedschaft im Europarat war ein verlorenes Jahr, ganz im Gegenteil. Österreich ist dem Europarat seither eng und immer enger verbunden. Das österreichische Engagement im Europarat entspricht ja nicht zuletzt der aus der eigenen Geschichte entstandenen Überzeugung, dass das nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaute multilaterale staatliche Netzwerk eine ganz wichtige Grundlage für ein friedliches Zusammenleben in Europa darstellt.

Ein aktiver Multilateralismus, wenn ich es so nennen darf, ist auch ein Grundpfeiler der österreichischen Außenpolitik und Wien ein guter Platz für Institutionen, die der internationalen Zusammenarbeit dienen. die österreichische Mitgliedschaft im Europarat hat aber auch zu einer Verbesserung unseres eigenen Rechtssystems beigetragen, denn die Europäische Menschenrechtskonvention steht in Österreich im Verfassungsrang; ich glaube nicht, dass das übliche Usance unter den europäischen Staaten ist.

Aber da die Europäische Menschenrechtskonvention in Österreich im Verfassungsrang steht, lernt jede neue Generation unserer Juristinnen und Juristen diese Konvention als Teil des eigenen Verfassungsrechtes kennen, ein Faktor, der für die österreichische Rechtskultur und –entwicklung nicht unwichtig ist.

Unser Interesse am Europarat und unser Engagement hat auch in jener Tatsache Ausdruck gefunden, dass es Österreicher als Generalsekretäre und als Präsidenten der Parlamentarischen Versammlung gegeben hat, wie die Frau Präsidentin freundlicherweise erwähnte. Mit Peter Schieder, Präsident von 2002 bis 2006, der leider im Herbst vergangenen Jahres verstorben ist, war ich seit unserer Zeit in Jugendorganisationen vor mehr als 50 Jahren befreundet. Er war ein glühender und sachkundiger Vertreter der Idee des Europarates und der europäischen Idee als solcher.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich darf die Gelegenheit benutzen und weitere wichtige Themen und Ergebnisse der engen Beziehungen Österreichs zum Europarat beispielsweise anführen. Der erste Europaratsgipfel hat 1993 in Wien stattgefunden. Er bestätigte die Politik der Eröffnung und Erweiterung des Europarates nach den Ereignissen von 1989 und den folgenden Jahren und schuf neue inhaltliche Schwerpunkte, die diese Institution bis heute beschäftigen und prägen, z.B. den Minderheitenschutz mit der Rahmenkonvention und der Charter der Minderheitensprachen, aber auch die Bekämpfung von Rassismus, Fremdenhass, Antisemitismus durch die Schaffung der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz.

Das österreichische Engagement in Europa kommt auch klar im Arbeitsprogramm unseres derzeitigen 6. Vorsitzes im Ministerkomitee zum Ausdruck, das übrigens in eine sehr aktive und interessante Periode fällt. Abgestützt auf die drei Grundsäulen des Europarats arbeiten wir an so aktuellen Themen wie der Bekämpfung des Menschenhandels, dem Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit, den Menschenrechten im Internet oder der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen.

Der Menschenhandel ist leider eines der größten Übel unserer Gesellschaft, und er ist in Europa nahezu allgegenwärtig. Es geht sowohl um sexuelle Ausbeutung, als auch um Arbeitssklaverei. Oft sind Opfer minderjährig. Diese Problematik wurde letztens in Wien bei einer großen Konferenz in Zusammenarbeit mit der OSZE aufgegriffen. Diese Konferenz hat viele Aspekte der Prävention, der Strafverfolgung, des Opferschutzes, sowie der internationalen Zusammenarbeit auf diesem Gebiet beleuchtet.

Zum Thema Meinungsfreiheit, das zentral für die Demokratie ist: Journalistinnen und Journalisten kommt nun einmal eine Schlüsselrolle bei der Information der Öffentlichkeit zu; man mag sie lieben oder nicht – es gibt keine Demokratie ohne eine funktionierende Medienlandschaft. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof nennt sie zu Recht die „Wächter der Gesellschaft“.

Aber auch Wächter brauchen Regeln, Schutz, Unterstützung und einen Code of Conduct. Deshalb haben wir dem Schutz von Journalistinnen und Journalisten im Dezember eine eigene Debatte im Ministerdelegiertenkomitee gewidmet, welche in konkreten Arbeitsaufträgen an den Generalsekretär gemündet hat.

Auch der Schutz der Menschenrechte und demokratischen Grundregeln im Internet ist ein aktuelles Thema, das uns und auch Europa beschäftigt, und das vielleicht sogar in Zeiten vor einer Wahl, wenn ich an bestimmte Länder denke, besonders aktuell werden kann.

Ein weiteres der von mir in diesem Zusammenhang anzuführenden Themen betrifft die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Hier hat der Europarat mit der Ausarbeitung der Istanbul-Konvention einen auch außerhalb Europas stark beachteten Standard gesetzt. Für das Inkrafttreten der Konvention sind, wie Sie alle wissen, zehn Ratifikationen erforderlich. Wir halten momentan bei acht Ratifikationen, d.h. es sind die Regierungen und Parlamente weiterer Mitgliedsstaaten am Zug, um diese Mindestzahl von zehn zu erreichen. Ich darf die Gelegenheit benutzen, einen Appell zu formulieren, weitere Ratifikationsverfahren einzuleiten bzw. dort, wie sie bereits eingeleitet wurden, diese abzuschließen, damit die Konvention wirksam werden kann.

Lassen Sie mich noch ein, wie ich glaube, ermutigendes Beispiel nennen: Ich bin ein rigoroser Gegner der Todesstrafe. Am Beginn des 20. Jahrhunderts galt die Todesstrafe in praktisch allen europäischen Staaten als mehr oder weniger selbstverständlich. Daher bin ich stolz darauf, dass am Beginn des 21. Jahrhunderts die Todesstrafe in allen Staaten der Europäischen Union und in einer überwältigenden Mehrheit der Staaten des Europarats abgeschafft wurde bzw. nicht mehr existiert.

Aus dem jüngsten Bericht von Amnesty International geht hervor, dass in ganz Europa im Jahr 2013 keine einzige Todesstrafe vollstreckt wurde. Ich gratuliere dem Europarat zu seinen Bemühungen auf diesem Gebiet, die zeigen, dass konkrete und messbare Fortschritte möglich sind, wenn man sich entsprechend einsetzt. Das wiederum ist ein großer Ansporn, diese Bemühungen auch auf anderen Gebieten weiter fortzusetzen und zu intensivieren.

Unser Ziel muss es jedenfalls sein, im 21. Jahrhundert außerhalb Europas das zu erreichen, was im 20. Jahrhundert auf diesem Gebiet in Europa erreicht werden konnte.

Ein anderes sehr wichtiges Thema, das den Europarat seit November vergangenen Jahres besonders beschäftigt, ist die Situation in der Ukraine. Am 29. November 2013 beim Gipfel in Vilnius hätte bekanntlich der Assoziierungsvertrag zwischen EU und Ukraine unterzeichnet werden sollen. Fünf Tage davor kam der damalige ukrainische Staatspräsident Janukowitsch zu einem offiziellen Besuch nach Österreich. Wir hatten mehrere Gespräche, darunter eine vierstündige Aussprache. Seine Aussagen waren teilweise widersprüchlich oder verwirrend. Die Situation war für ihn offenbar sehr schwierig.

Ich kann aber auch nicht behaupten, dass das Klima in den Hauptstädten der Europäischen Union in den Wochen und Monaten vor dem geplanten Unterzeichnungstermin besonders ermutigend gegenüber der Ukraine war und der dringende Wunsch nach raschester Unterzeichnung des Vertrages zum Ausdruck gebracht worden wäre – eher im Gegenteil. Es wurden bis zuletzt immer wieder zusätzliche Bedingungen für die Unterzeichnung des Abkommens in den Raum gestellt und von manchen Staaten dessen Unterzeichnung lange Zeit auch an die Freilassung der früheren Ministerpräsidentin Timoschenko geknüpft. Eine über den Inhalt des Abkommens hinausgehende substantielle wirtschaftliche und finanzielle Unterstützung der Ukraine wurde zu diesem Zeitpunkt hingegen nicht in Aussicht gestellt.

Es sind meines Erachtens Fehler gemacht worden, über die ja auch vor wenigen Tagen beim jüngsten Außenministertreffen in Athen relativ offen gesprochen und diskutiert wurde. Der weitere Verlauf der Ereignisse ist ja uns allen bekannt. Für mich steht fest, dass die Vorgehensweise Russlands auf der Krim völkerrechtswidrig war bzw. ist. Das hat auch die Venedig-Kommission als Gremium des Europarates festgestellt. Ich teile zu dieser Frage auch die öffentlich bekannt gewordenen Meinungen des Generalsekretärs der Vereinten Nationen oder des Generalsekretärs des Europarates.

Aber ich habe auch mit Interesse die Kommentare erfahrener Staatsmänner einer früheren Generation, wie Helmut Schmidt, Giscard d’Estaing und Henry Kissinger zum Umfeld und zur Vorgeschichte dieser Krise registriert. Im Fall der Ukraine darf es ihrer – und auch meiner -Meinung nach nicht primär darum gehen, dieses große und wichtige Land auf die Seite der EU oder die Seite der Russischen Föderation zu ziehen; Sie kennen ja sicher den Text von Bert Brecht über den kaukasischen Kreidekreis und die darin enthaltene Problematik. Eine zukunftsorientierte, sowohl politisch als auch wirtschaftlich vernünftige Rolle einer stabilen, demokratischen Ukraine wäre zweifellos eine Brückenfunktion zwischen der Europäischen Union und Russland. Darauf hätte man zeitgerecht und stärker hinarbeiten müssen. Diese Zielsetzung steht ja nach wie vor im Raum.

Man mag einwenden, eine solche Ukraine, deren Verfassung deutliche Elemente der Dezentralisierung und des Minderheitenschutzes enthält, die durch enge Beziehungen mit Europa an der wirtschaftlichen und sozialen Dynamik Europas teilnimmt, aber gleichzeitig gute, historisch begründete und wirtschaftliche Beziehungen zu Russland hat und dadurch die eben erwähnte Brückenfunktion erfüllen kann, wäre eine Utopie. Dazu darf ich den polnischen Philosophen Leszek Kołakowski zitieren, der einmal gesagt hat, das Bestehen einer Utopie als Utopie sei eine unerlässliche Voraussetzung dafür, dass die Utopie einmal aufhört, eine Utopie zu sein und zur Realität wird oder sich dieser annähert.

Auch das Ziel, dass alle Staaten Europas gute und friedliche Beziehungen zur Russischen Föderation und die Russische Föderation stabile, friedliche und vertrauensvolle Beziehungen zu allen Staaten Europas hat, sollte keine Utopie sein bzw. bleiben, sondern muss Schritt für Schritt der Realität angenähert werden und ist eine gemeinsame Aufgabe, bei der auch der Europarat seine Beiträge leistet. Zu diesem Zweck müssen wir uns auch mit den Sorgen und Problemen aller von diesem Konflikt betroffenen Staaten ernsthaft beschäftigen.

Die Lösung schwieriger politischer Fragen setzt bekanntlich voraus, ein Problem jeweils auch aus der Sicht des Gegenübers zu betrachten. Daher würde m.E. der Versuch, die Ukraine in absehbarer Zeit zu einem Mitglied der Nato zu machen, ziemlich deutlich zeigen, dass uns genau diese Fähigkeit, ein Problem jeweils auch aus der Sicht der anderen Seite zu betrachten, fehlt oder unterentwickelt ist. Sogar Präsident Obama hat ja bei einer Pressekonferenz am 26. März klargestellt, Georgien und die Ukraine würden vorerst nicht der Nato beitreten und das werde sich auch nicht in absehbarer Zeit ändern.

Andererseits muss aber auch Russland die Probleme rund um die Ukraine aus der Sicht Europas und der EU betrachten und diese Sichtweise angemessen berücksichtigen. Weitere Schritte Russlands, die auf eine Destabilisierung der Ukraine abzielen würden, wären völlig unakzeptabel.

Ich hoffe, es ist mir gestattet, mir in diesem Zusammenhang auch eine Anmerkung zu einem aktuellen Thema zu erlauben, nämlich der Anerkennung der Credentials der Delegation der Russischen Föderation, bzw. der Suspendierung bestimmter Rechte dieser Delegation, über die es meines Wissens morgen zu einer Abstimmung kommen soll.

Wie ich bereits ausgeführt habe, betrachte ich multilaterale Foren wie den Europarat als eine der Stützen für friedliches Zusammenleben und für Dialog in Europa. Dialog ist nun einmal eine unverzichtbare Form der Konfliktlösung. Dazu müssen aber Dialogmöglichkeiten offengehalten und gepflegt werden. Denn Türen zu schließen ist relativ einfach, geschlossene Türen wieder zu öffnen, ist jedoch viel schwieriger. Ich darf Sie daher bitten, diese Gesichtspunkte bei Ihrer Entscheidung morgen mit zu berücksichtigen.

Lassen Sie mich zum Schluss noch kurze Sätze zum Nahostkonflikt sagen, der uns in Europa ja auch betrifft, und stark beschäftigt. Vergangene Woche hat der über 90jährige israelische Staatspräsident Shimon Peres in Österreich einen Staatsbesuch absolviert, wahrscheinlich einen seiner letzten Auslandsbesuche vor dem bevorstehenden Ende seiner Amtszeit. Er ist ein wirklich erfahrener Staatsmann, seit über 50 Jahren in den verschiedensten wichtigen Funktionen tätig, ein Friedensnobelpreisträger und eine Autorität.

Im Mittelpunkt der Gespräche mit ihm standen naturgemäß die Entwicklung im Nahen Osten und der Friedensprozess zwischen Israel und den Palästinensern. Und ich glaube Shimon Peres, dass er, so wie viele andere Israelis, den Frieden zwischen Israel und den Palästinensern auf der Basis einer Zweistaatenlösung aufrichtig anstrebt und einer solchen Lösung immer noch Chancen gibt. Aber nur wenige Stunden, nachdem Shimon Peres seinen Optimismus mit den Worten begründete, er sei viel zu alt, um ein Pessimist zu sein, ist der Verhandlungsprozess wieder ernsthaft ins Stocken geraten; manche sagen sogar, er sei knapp am Zusammenbrechen.

Ich denke daher, dass sich Europa gemeinsam mit vielen Verbündeten mit noch größerer Energie dafür einsetzen muss, dass dieser Friedensprozess in eine erfolgversprechende Spur findet. Der gegen das Völkerrecht verstoßende Bau von Siedlungen in den palästinensischen Gebieten muss gestoppt werden, aber auch Raketen- und andere Angriffe auf israelisches Staatsgebiet müssen mit besonderer Energie gestoppt werden.

Die Palästinenser müssen verstehen, dass von ihren Positionen Abstriche erforderlich sind, und die Israelis müssen das Gleiche verstehen. Ich halte das für ungeheuer wichtig. Es würde Auswirkungen weit über den Nahen Osten hinaus haben, wenn wir gerade jetzt, wo die Bemühungen relativ weit gediehen sind, erneut, und dann wahrscheinlich auf lange Zeit, scheitern würden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Jahr 2014 ist bekanntlich ein Jahr wichtiger historischer Daten: 100 Jahre seit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, 75 Jahre seit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, 25 Jahre seit dem Fall des Eisernen Vorhangs. Wir sollten alle diese Daten, und noch einige weitere, zum Anlass nehmen, um zu beweisen, dass wir in der Lage sind, aus der Geschichte zu lernen.

Aber es wird uns bei dieser Gelegenheit auch bewusst, wie viele Realitäten des heutigen Europa vor 30, 40 oder 50 Jahren noch Utopien waren. Wir haben also reale Fortschritte erzielt. Das ist ein starker und schöner Ansporn, weiterzuarbeiten, um Probleme, die heute noch unlösbar erscheinen, schrittweise einer Lösung zuzuführen. Im Europarat, der in Kürze, nämlich am 5. Mai 2014, seinen 65. Geburtstag feiert, wünsche ich weiterhin in unser aller Interesse den besten Erfolg und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Danke, Frau Präsidentin.

Frau Anne BRASSEUR, Präsidentin der Parlamentarischen Versammlung des Europarates

(Ansprache von Dr. Heinz Fischer, Bundespräsident der Republik Österreich)

Ich möchte mich recht herzlich bei Ihnen, Herr Präsident, für Ihre beeindruckende und engagierte Rede bedanken.

(weiter auf Englisch)

Dr. Heinz Fischer, Bundespräsident der Republik Österreich

(Antwort auf die Frage von Herrn DíAZ TEJERA)

Es gibt Fragen, die man in zwei Minuten formulieren kann, aber wo die Antworten im Extremfall ein ganzes Menschen- beziehungsweise Politikerleben erfordern.

Auf dem Gebiet der Menschenrechte haben wir mittelfristig gesehen deutliche Fortschritte gemacht. Die Menschenrechtsdeklaration bringt zum Ausdruck, was das gemeinsame Ziel der Menschen sein muss.

Ich war von Art. 1 der Menschenrechtsdeklaration, der besagt, dass alle Menschen mit gleichen Rechten und gleicher Würde geboren sind und einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen, so beeindruckt, dass ich ihn als österreichischer Parlamentspräsident in den Stein über dem Eingang des Parlaments habe meißeln lassen. Jeder, der das österreichische Parlament betritt, geht an diesem Grundsatz vorbei.

Jetzt geht es darum, ihn in die Wirklichkeit zu übertragen. Kein einziges Land auf diesem Globus kann von sich behaupten, diesen Grundsatz zur Gänze erfüllt zu haben.

Es gibt Differenzen und auch Ranglisten über das Ausmaß, wie die Menschenrechte geachtet oder nicht geachtet werden. Wir stehen auch in einem gewissen Konkurrenzverhältnis zueinander. In den Vereinten Nationen gibt es heute stärkere Bemühungen als vor 30 Jahren; es gibt dort sogar einen eigenen Menschenrechtsausschuss. Letzten Endes kommt es auf den einzelnen Menschen an, auf die einzelne politische Persönlichkeit, auf die konkrete politische Partei, wie sie Menschenrechte behandelt.

Ich habe das Prinzip angesprochen, nach dem der Zweck die Mittel heilige. Es gibt einen berühmten Satz, der besagt: „Niemand kann in den Lackschuhen privater Tugend durch den Sumpf der Geschichte wandeln.“

Damit ist gemeint, dass man in der Politik oft vor Entscheidungen gestellt wird, wo man abwägen muss und nicht ausnahmslos die nach Menschenrechtskriterien beste Lösung wählt. Das sind Probleme, die uns auf diesem Gebiet alle bedrängen und beschäftigen.

Ein Patentrezept mit Inkrafttreten am 1. Januar nächsten Jahres kann ich Ihnen ehrlich gesagt nicht liefern. Ich kann mich nur denen anschließen, denen Menschenrechte wichtig sind, die sich dafür einsetzen und dafür kämpfen.

Axel E. FISCHER, Deutschland, EPP/CD / PPE/DC

Frage an Dr. Heinz Fischer, Bundespräsident der Republik Österreich

Herr Präsident!

Ich danke Ihnen recht herzlich für Ihre klaren Worte zum Thema Menschenrechte und auch für die Unterstützung des Europarates. Wenn sie sich zur Ukraine und zu Russland nicht geäußert hätten, hätte ich sie jetzt danach gefragt.

Aber da wir auch über Menschenrechte reden, frage ich Sie nun: Was können wir gemeinsam unternehmen, um den Urteilen des Gerichtshofes für Menschenrechte mehr Gehör zu verschaffen?

Dr. Heinz Fischer, Bundespräsident der Republik Österreich

(Antwort auf die Frage von Herrn FISCHER)

Ein Urteil eines Gerichtshofes für Menschenrechte ist für mich wie ein Pfiff des Schiedsrichters: Es ist zu respektieren! Dieser Grundsatz steht für mich fest.

Ich registriere natürlich auch, dass es Fälle gibt, in denen jemand glaubt, sich auch über den Spruch eines Höchstgerichtes hinwegsetzen zu können. Aber in einer hoch entwickelten Demokratie ist so jemand schon in einer Außenseiterposition.

In Ländern wie Deutschland, Frankreich, Schweden, Österreich oder der Schweiz kann man sich de facto über Urteile eines Höchstgerichtes und über Urteile des Menschenrechtsgerichtshofes nicht hinwegsetzen.

Wenn das jemand tut, dann setzt er sich erstens berechtigter Kritik aus und muss sich auch vor Wählern verantworten, was vielleicht Politikern, die nicht in einem wirklich echten demokratischen System leben, weniger wehtut.

Hier in diesem Gremium wird allerdings es nicht schwer fallen, den Konsens zu erreichen, dass die Urteile eines Höchstgerichtes und eines Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu respektieren sind. Das würde das ebenso auf das EU-Parlament übertragen; das sind rote Linien, die man nicht überschreiten darf!

Dr. Heinz Fischer, Bundespräsident der Republik Österreich

(Antwort auf die Frage von Frau BULAJIĆ)

Als Österreicher oder als österreichischer Bundespräsident würde ich sagen, dass wir erstens in den Gremien, in denen wir vertreten sind, wie der Europäischen Union und dem Europarat, die Bemühungen der Gemeinschaft demokratischer Staaten sehr aktiv unterstützen, hier positiv einzuwirken und mitzuhelfen, dass friedliche und rechtsstaatliche Lösungen zustande kommen.

Wir unterstützen auch, dass an der sozialen und ökonomischen Basis für eine vernünftige Entwicklung gearbeitet wird. Man darf nicht übersehen, dass es einen Zusammenhang zwischen der sozialen Kohäsion und Rücksichtnahme auf die Schwächeren in einer Gesellschaft und der Stabilität dieser Gesellschaft gibt.

Zweitens führt Österreich derzeit einen speziellen bilateralen Dialog mit hoch- bzw. höchstrangigen Vertretern der Ukraine, weil bei uns angefragt wurde, ob wir bereit seien, der Ukraine gewisse Auskünfte, Erfahrungsberichte, Hilfestellungen im Hinblick auf unsere Erfahrung mit Blockfreiheit und Neutralität zu geben. Das ist sicherlich ein Thema, zu denen wir einen besonderen Beitrag leisten können.

Drittens hat Österreich den Behörden in der Ukraine auch im rechtsstaatlichen Bereich Hilfe angeboten. Der aus Altersgründen gerade aus dem Amt geschiedene Präsident des Obersten Gerichtshofes in Österreich hat sich eine Woche in der Ukraine aufgehalten, um Gespräche über die Schaffung besserer rechtsstaatlicher Grundlagen zu führen.

Das sind nur einige Beispiele dafür, was wir bilateral und als Mitglieder der Europäischen Union und des Europarates tun können.

Dr. Heinz Fischer, Bundespräsident der Republik Österreich

(Antwort auf die Frage von Herrn VILLUMSEN)

Herr Kollege!

Erstens hat der Europarat nach meinen Informationen und Beobachtungen in den letzten Wochen und Monaten schon beigetragen.

Der Generalsekretär des Europarates war meines Wissens mehrere Male in der Ukraine, ein- oder zweimal gemeinsam mit den österreichischen Außenminister. Das war für die Ukraine sicherlich eine Unterstützung, gleichzeitig aber auch ein Einmahnen bestimmter Prinzipien und Grundsätze.

Denn es ist ja beides wichtig: erstens, den Ukrainern Sicherheit zu geben, sich hinter sie zu stellen und sie zu unterstützen. Gleichzeitig aber auch, sie auf die Dinge hinzuweisen, die in der Vergangenheit in der Ukraine schief gelaufen sind und auf die sie achten müssen.

Die Ukraine muss auf Minderheiten Acht nehmen, darf in der Sprachenpolitik keine Fehler machen und muss ihre Verfassung in einer Art und Weise weiterentwickeln, dass die Besonderheiten der Ukraine darin Berücksichtigung finden.

Die Verhältnisse im westlichen Teil der Ukraine, der bis vor 100 Jahren zu Österreich gehört hat, sind ganz anders als die Verhältnisse im östlichen Teil. Darauf muss eine gute Verfassung entsprechend Rücksicht nehmen.

Darüber hinaus glaube ich, dass Sie gegenüber Russland, das ja ein Mitgliedsstaat des Europarates ist, eine klare Sprache sprechen müssen. Meiner Erfahrung nach verstehen russische Politiker eine klare Sprache - sie sprechen ja oft selbst eine klare Sprache. Gleichzeitig müssen Sie aber die Gesprächskanäle und -möglichkeiten offen halten. Das habe ich auch versucht, in meiner Rede zum Ausdruck zu bringen.

Der Europarat ist mitten in diesem Entscheidungsprozess. Er muss eine klare Position beziehen, auf Rechtsstaatlichkeit, Verfassungstreue und Menschenrechte pochen, aber auch den Dialog suchen und mit dem Kopf der anderen Seite denken. Gleichzeitig muss seine Position auch öffentlich bekunden und auf jeden Opportunismus in diesem Zusammenhang verzichten.

Dr. Heinz Fischer, Bundespräsident der Republik Österreich

(Antwort auf die Frage von Herrn FOURNIER)

Die Gründung des Europarates ist bereits 1949, also in den allerersten Nachkriegsjahren erfolgt. Die Idee des Europarates hat also schon konkrete Gestalt angenommen, bevor der europäische Integrationsprozess in Gang gekommen ist. Diese Möglichkeit des Gedankenaustausches war sensationell.

Erst als ich schon zwei oder drei Jahre als Bundespräsident im Amt war, habe ich mir angeschaut, wann eigentlich ein österreichischer Bundespräsident zum ersten Mal das Staatsgebiet der Republik Österreich verlassen und eine Auslandsreise unternommen hat.

Der erste Präsident, Karl Renner, war von 1945-1950 im Amt und hat Österreich nie verlassen. Der zweite, Bundespräsident Körner, war von 1950-1957 im Amt, als es den Europarat schon gab, und hat ebenfalls nie das österreichische Staatsgebiet verlassen. Erst der dritte, Bundespräsident Schärf, hat dann in den sechziger Jahren anlässlich einer Weltausstellung Belgien besucht.

Wir waren damals, nach 1945, viel mehr auf uns zurückgezogen. Der Europarat hat mitgeholfen, hier eine Öffnung zu bewirken und das Interesse für andere Staaten und den Dialog mit anderen Staaten zu öffnen.

Insofern ist der Europarat sogar ein Vorläufer des europäischen Integrationsgedankens und des europäischen Parlamentes, das am Anfang ja auch nur in einem embryonalen Stadium existierte.

Heute, wo diese Zeit sehr lange zurückliegt und sich die Dinge weit entwickelt haben, hat der Europarat eine besondere Aufgabe beim Schutz der Menschenrechte und den Konventionen, die deren Schutz dienen.

Außerdem reicht er geographisch viel weiter als die Europäische Union. Der Europarat hat jetzt, glaube ich, 47 Mitglieder, die Europäische Union 28. Daran sieht man, dass der Europarat ein Gremium ist, das noch in Bereiche hineinwirkt, aktiv ist und konkrete Mitgliedschaften mit Rechten und Pflichten hat, in welche die Europäische Union zumindest direkt nicht hinreicht.

Das sind einige Aspekte der Rolle des Europarates, seiner Geschichte, seiner Pionierrolle und der Schwerpunkte, die er sich setzen kann.

Dr. Heinz Fischer, Bundespräsident der Republik Österreich

(Antwort auf die Frage von Herrn CLAPPISON)

Dem Satz, dass die Religionsfreiheit ein Grundmenschenrecht ist, stimme ich uneingeschränkt zu.

Ich habe erst vor einigen Wochen in einer päpstlichen Hochschule in Heiligenkreuz ein Referat zu diesem Thema gehalten und mich dazu bekannt. Ich habe auch darauf hingewiesen, dass Österreich das erste Land in Europa war, das vor 102 Jahren den Islam als gleichberechtigte Religionsgemeinschaft neben den christlichen Religionen und dem Judentum anerkannt und damit eine Pioniertat im Bereich der Religionsfreiheit geleistet hat.

Wien ist auch ein Zentrum von Institutionen, wie diese Gemeinschaftsgründung von Saudi-Arabien und Spanien, das „King Abdullah Centre for Religious Freedom“ (vollständiger Name: King Abdullah bin Agdulaziz International Centre for Interreligious and Intercultural Dialogue : KAICIID) . Manche wundern sich, dass Saudi-Arabien daran beteiligt ist, aber das Land hat der Gründung dieser Institution sehr fördernd zur Seite gestanden. Auch wird Religionsfreiheit dort sehr aktiv praktiziert und diskutiert.

Zu dem Fall in Pakistan, auf den Sie verweisen: Selbstverständlich verurteile ich dies hundertprozentig und distanziere mich davon. Egal, in welchem Teil der Welt so etwas passiert - Religionsfreiheit ist ein Menschenrecht und die Menschenrechte sind unteilbar.

Dr. Heinz Fischer, Bundespräsident der Republik Österreich

(Antwort auf die Frage von Herrn SOBOLEV)

Sie haben mehrere Dinge festgestellt.

Erstes haben Sie sich sehr freundlich gegenüber der österreichischen Position zu dieser Krise und zu den Problemen geäußert. Ich habe versucht, die österreichischen Positionen in ihrer ganzen Breite und unsere Unterstützung friedlicher Lösungen auf der Basis von Dialog darzulegen.

Zweitens haben Sie die Causa des Herrn Firtasch erwähnt. In diesem Hinblick ist von den Vereinigten Staaten im Rahmen seit langem existierender Abkommen ein Auslieferungsbegehren an Österreich herangetragen wurden, das momentan von den österreichischen Gerichten dahingehend geprüft wird, ob die Voraussetzungen dafür gegeben sind. Das ist eine Frage der Gerichtsbarkeit. Kein Regierungsmitglied in Österreich wird sich hier einmischen, auch nicht der Präsident, denn das ist eine Entscheidung der Gerichte, die in Österreich von jedem akzeptiert werden wird.

Was den Aufenthalt des früheren Präsidenten Janukowitsch in Russland betrifft, kann man das meiner Meinung nach auch nur auf der Basis eines Rechtsstaates, allenfalls auf der Basis gerichtlicher Entscheidung handhaben.

Wenn jemand ein Auslieferungsbegehren stellt, dann wird die Justiz des betreffenden Landes darüber zu befinden haben. Der Europarat kann dies beobachten und über das gerichtliche Verfahren eine Meinung äußern. Ich glaube aber nicht, dass außergerichtliche Schritte, am Rechtsstaat vorbei, hier in Frage kommen.

Vilmos SZABÓ, Ungarn, SOC

(Frage an Dr. Heinz Fischer, Bundespräsident der Republik Österreich)

Sehr geehrter Herr Bundespräsident!

Der Prozess der Integration war sowohl für Mittel- und Osteuropa als auch für Europa im Ganzen eine Erfolgsgeschichte und ein Sieg der Demokratie. Es ist unser gemeinsames Interesse, diesen Prozess fortzusetzen und den Beitritt auch für die Westbalkanländer möglich zu machen.

In der letzten Zeit sind die Stimmen der Gegner viel lauter geworden. Euroskeptische, extremistische, nationalistische und antidemokratische Kräfte sind in ganz Europa stärker geworden.

Wie schätzen Sie die Chancen und die Gefahren ein?

Dr. Heinz Fischer, Bundespräsident der Republik Österreich

(Antwort auf die Frage von Herrn SZABÓ)

Ich freue mich, dass sie die Region Westbalkan angesprochen haben. Wir halten das für sehr wichtig.

Man kann sogar sagen, dass das Jahr 2013 ein Jahr der Fortschritte im westlichen Balkan war:

- Kroatien ist in die EU aufgenommen worden

- Serbien hat beträchtliche Fortschritte erzielt. Der serbische Präsident war vor zwei oder drei Wochen in Österreich und hat mit den Positionen, die er vertreten hat, einen guten Eindruck hinterlassen

- Der Prozess im Kosovo geht weiter.

- Albanien wird demnächst, hoffentlich noch vor dem Sommer, ein Assoziationsabkommen unterzeichnen.

- Montenegro ist überhaupt ein Front-Runner in Bezug auf die Beziehungen zur Europäischen Union.

- Bosnien ist ein Sorgenkind, um es unprotokollarisch auszudrücken. Bald wird es Wahlen geben. Das ist zwar wunderbar, heißt aber auch, dass der ganze politische Prozess bis tief in den Herbst hinein zum Stillstand kommen wird.

Insgesamt ist der Westbalkan jedoch auf einem guten Weg.

Was Ihre Frage nach rechtsextremen bzw. rechtsnationalistischen Bewegungen angeht, so betrachte ich den europäischen Integrationsprozess insgesamt als eine Absage an Chauvinismus und übertriebenen Nationalismus.

Wenn wir den schon zitierten Grundsatz der Menschenrechtsdeklaration von der Gleichwertigkeit und Brüderlichkeit aller Menschen ernst nehmen, dann muss jener Nationalismus, der auf andere Nationen herabblickt und die eigene Nation als etwas Besseres betrachtet und womöglich noch Rassentheorien über höherwertige und minderwertiger Rassen entwickelt, als Gedankengut aus dem 19. Jahrhundert betrachtet werden, das so viel Unheil angerichtet hat, dass man sich davon aufs Schärfste distanzieren muss.

Dennoch gibt es Elemente dieser Art und den Versuch, den Nationalismus populistisch auszunutzen.

Ich stelle aber auch fest, dass diese Bemühungen dann doch immer wieder an Grenzen stoßen. Auch in Frankreich, in Schweden oder in Österreich ist eine deutliche Mehrheit unterschiedlich politisch denkender Menschen in der Lage, diesen Rechtsnationalismus in Grenzen zu halten.

Manchmal erleidet man hier oder da eine Niederlage, aber insgesamt gebe ich diesem nationalistischen Denken in Europa keine Zukunft. In 10 oder 20 Jahren werden wir m.E. mit diesen Verirrungen noch besser umgehen können, als das in der Vergangenheit der Fall war und bis in die Gegenwart hinein ist. Das ist mein Optimismus auf diesem Gebiet.

Dr. Heinz Fischer, Bundespräsident der Republik Österreich

(Antwort auf die Frage von Herrn IWIṄSKI)

Herr Abgeordneter Iwiński!

Das hat sich in letzter Zeit recht stark verändert. Österreich, Schweden und Finnland waren jene drei neutralen Staaten, die Anfang der Neunzigerjahre viel Kontakt untereinander hatten und miteinander darüber gesprochen haben, ob sie unter der neuen Lage, die durch den Fall der Berliner Mauer usw. entstanden ist, als neutrale Staaten der Europäischen Union beitreten können.

Ich kann mich gut an diese Gespräche mit Ingmar Carlson aus Schweden und Paavo Lipponen und den anderen Freunden aus Finnland gut erinnern. Wir haben uns dann aber entschieden, als neutrale Staaten der EU beizutreten, wobei sich ja Schweden und Finnland inzwischen als blockfreie Staaten betrachten, während Österreich an seinem Status als neutrales Land keine grundsätzlichen Änderungen, wenn auch Modifikationen vorgenommen hat.

Unser kurzes Neutralitätsgesetz vom Oktober 1955, das besagt, dass Österreich ein immerwährend neutraler Staat ist, nie fremde Truppen auf seinem Territorium akzeptiert und keinem Militärbündnis beitreten wird, ist seit 1955 unverändert in Kraft. Zum Zeitpunkt unseres Beitritts zur Europäischen Union haben wir gesagt, dass wir diese Neutralität aufrechterhalten, gleichzeitig aber einige Verfassungsbestimmungen vorgenommen, die uns das Mitwirken an der europäischen Sicherheitspolitik usw. ermöglichen. In meinen Augen hat sich das sehr bewährt.

In der Zeit um das Jahr 2000 hatten die beiden großen Parteien, Sozialdemokraten und Österreichische Volkspartei, einen großen Konflikt in dieser Frage. Die Verhandlungen zur Bildung einer gemeinsamen Bundesregierung gestalteten sich sehr schwierig, weil die ÖVP als christdemokratische Partei in das Regierungsprogramm einen Passus aufnehmen wollte, nach dem Österreich sich die Option einer NATO-Mitgliedschaft offenhält. Die Sozialdemokraten lehnten das damals ab.

In der Zwischenzeit ist aber die Wert- und Sicherheitsdoktrin Österreichs ausdrücklich, einvernehmlich und im Konsens aller Parlamentsparteien wieder so formuliert worden, dass Österreich ein neutraler Staat bleibt, der aber aktiv an der europäischen Politik und am europäischen Integrationsprozess mitwirkt.

In Finnland hingegen gibt es beispielsweise immer wieder Diskussionen über die NATO- Mitgliedschaft und auch in Schweden gibt es eine gewisse Bandbreite von Meinungen. Wir beobachten diese zwar sehr genau, doch sie hindern uns nicht daran, an unserem Weg festzuhalten, so wie wir ihn eingeschlagen haben, wie er sich in Österreich bewährt hat und er von der Bevölkerung akzeptiert wird,.

Würde man heute in Österreich in einer Volksabstimmung fragen, ob Österreich die Neutralität aufgeben sollte, würde sich eine große Mehrheit der Bevölkerung für die Beibehaltung der Neutralität aussprechen.

Frau Anne BRASSEUR, Präsidentin der Parlamentarischen Versammlung des Europarates

(Ansprache von Dr. Heinz Fischer, Bundespräsident der Republik Österreich)

(Antwort auf eine Zwischenfrage aus dem Saal:)

Nein, es tut uns leid. Das Protokoll sieht es nicht vor. Wir müssen um dreizehn Uhr schließen.

(weiter auf Englisch)

Herr Präsident, nochmals recht herzlichen Dank für die Art und Weise, wie Sie, basierend auf Ihrer sehr großen Erfahrung, auf die Fragen der Abgeordneten geantwortet haben. Im Namen von uns allen noch einmal recht herzlichen Dank, Herr Präsident.