AL15CR23

AS (2015) CR 23
Provisorische Ausgabe

SITZUNGSPERIODE 2015

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(3. Teil)

BERICHT

23. Sitzung

Mittwoch, 24. Juni 2015, 10.00 Uhr

 

Stefan SCHENNACH, Österreich, SOC

(Dok. 13800, Bericht)

Sehr geehrte Frau Präsidentin,

liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es ist nicht aus ausgesprochener, persönlicher Leidenschaft, dass ich hier bereits zum 3. Mal über russische Beglaubigungen spreche. Aber es ist die Verantwortung des Vorsitzenden des Monitoring-Komitees, für diese wichtige Frage eines Konfliktes innerhalb der Familie, zwischen den Familienmitgliedern Russische Föderation und Ukraine, Wege der Lösung zu finden.

Bei meinem Bericht im Januar dieses Jahres beschloss die Versammlung, im Juni zu überprüfen, ob die Akkreditierungen annulliert werden sollten oder nicht.

Nachdem die Versammlung im Januar beschlossen hatte, die Sanktionen von 2014 in dieser Weise bis zum Jahresende 2015 fortzusetzen, beschloss die russische Seite ihrerseits in einer sehr emotionalen Reaktion, die Parlamentarische Versammlung zu boykottieren.

Was ist bisher geschehen? Minsk II hat zumindest die Grausamkeit des schweren Krieges im Ostteil der Ukraine gestoppt. Der Monitoring-Ausschuss besprach in einer sehr langen, intensiven Aussprache mit der Ukraine-Beauftragten der OSZE, Heidi Tagliavini, die Chancen dieses Waffenstillstandes und aller anderen in Minsk II festgehaltenen Forderungen.

Obwohl dies eine sehr lange und ausgesprochen komplizierte Waffenstillstandslinie ist, haben wir hier zumindest mehr oder weniger einen internationalen, wichtigen Erfolg. Andere Forderungen von Minsk II wurden jedoch nicht erfüllt; sie sind in meinem Bericht ganz klar beschrieben: Nach wie vor gibt es keinen Rückzug fremder Truppen aus dem Gebiet der Ukraine. Diese Forderung steht mit der grundsätzlichen Forderung des Europarats in Zusammenhang, die Ukraine in die Lage zu versetzen, ihre Grenzen zu kontrollieren und zu bestimmen, wer sich innerhalb ihres eigenen Staatsgebiets aufhält.

Doch sprechen wir in diesem Bericht nicht nur eine, sondern alle Seiten dieses Konfliktes an. Die Präsenz fremder Truppen und schwerer Waffen ist jedoch sehr schwerwiegend. Die schweren Waffen müssen zurückgenommen werden und es ist Klarheit zu schaffen über Kriegsverbrechen sowie die mit 2000 Personen sehr hohe Anzahl an Vermissten; morgen werden wir darüber einen eigenen Bericht hören.

Zugleich finden Sie in diesem Bericht eine klare Stellungnahme gegen diesen unerhörten Akt, Mitglieder unserer Parlamentarischen Versammlung, ob derzeit anwesende oder ehemalige, auf eine schwarze Liste zu setzen. Ich halte Sanktionen gegenüber Abgeordneten prinzipiell für Unfug, denn diese haben eine wichtige Aufgabe, die Regierungen manchmal nicht erfüllen können, nämlich Kommunikation und Dialog.

Wenn wir nicht in einen politischen Dialog miteinander kommen, dann bleibt nur noch die Sprache des Kalten, oder gar des echten Krieges. Deshalb müssen wir als Parlamentarische Versammlung des Europarates alles tun, damit es wieder zum Dialog auf parlamentarischer Ebene kommt. Doch muss auch den Delegierten der Russischen Föderation klargemacht werden, dass sie sich politisch bewegen müssen; einfach nur zu warten ist zu wenig.

Wie in meinem Bericht vom Januar steht, gibt es von Seiten des Europarates einige grundlegende, absolut zu erfüllende Punkte:

- Es muss dem Europarat ermöglicht werden, eine fact finding mission auf die Krim zu entsenden, um die Menschenrechts-Situation vor Ort zu untersuchen, so, wie der Europarat vor Jahren nach Abchasien und Ossetien gehen konnte.

- Der Europarat in der Lage sein, mit dem Mitglied dieser Versammlung zu sprechen, das sich in Haft befindet: der entführten und inhaftierten Nadia Savtchenko.

- Das Präsidium des Europarates muss zusammen mit dem der Duma und der Ukrainischen Versammlung gemeinsam einen präsidialen Ausschuss für den gemeinsamen Dialog bilden.

Diese drei Punkte müssen vor der Lösung aller anderen Fragen behandelt werden. In diesem Sinne appelliere ich an Sie, dem in diesem Bericht aufgezeigten Weg zuzustimmen: klare Kritik, fortwirkende Sanktionen bis Jahresende, aber keine Annullierung der Akkreditierungen.

Auch liegen derzeit sehr wichtige Entscheidungen des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs vor, nach denen Russland seine Verpflichtung erfüllen muss, den individuellen Bürgerinnen und Bürgern der Russischen Föderation die Anrufung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs und die Arbeit im Ministerkomitee zu ermöglichen. Diese Entscheidungen des EUMRGH müssen respektiert werden.

Ich bedanke mich beim Monitoring-Komitee, das diese Position mit einer sehr großen Mehrheit versehen hat. Es wäre ein Zeichen der Stärke, wenn auch Sie diesen Bericht heute mit einem starken Votum unterstützen.

Danke.

Elisabeth SCHNEIDER-SCHNEITER, Schweiz, EPP/CD / PPE/DC

(Dok. 13800)

Sehr geschätzte Kolleginnen und Kollegen!

Die Entwicklung in Russland in den drei Hauptbereichen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte war bereits vor der Ukraine-Krise und der Krim-Annexion kritisch.

Der Europarat musste sich immer wieder mit der Frage befassen, wie er auf die zunehmenden Einschränkungen in den Bereichen Bürger- und Freiheitsrechte und im Hinblick auf die Achtung demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien sowie auf die Wahrung der Menschenrechte in Russland reagieren sollte.

Immerhin konnte der Europarat in den letzten Jahren einige Erfolge erzielen. Ich denke dabei an die Wahlbeobachtungen durch Delegationen der Parlamentarischen Versammlung in den Jahren 2007/08 und 2011/12 der Präsidentschafts- bzw. Duma-Wahlen. Dazu kommen die zahlreichen Informationsreisen in den Nordkaukasus sowie die Bereitschaft Russlands, Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu akzeptieren und die damit häufig verbundenen Entschädigungszahlungen zu leisten.

Besonders hervorheben möchte ich die Tatsache, dass es dem Europarat im Oktober 2013 gelang, ein Programmbüro des Europarates in Moskau zu eröffnen. Diese Eröffnung ist leider in den Medien untergegangen.

Die Logik des Europarates war nie der Ausschluss oder die Beschränkung der parlamentarischen Mitglieder bei fortwährenden Rechtsverletzungen oder Unterlassungen, sondern die Suche nach Potenzialen des Europarates, um diese Krisen zu überwinden.

Die Instrumente und Lösungsansätze des Europarates könnten somit im russischen Fall an Bedeutung gewinnen. Die parlamentarische Versammlung ist dabei ein Instrument des Europarates. Je länger auf dieses letzte Instrument verzichtet wird, desto eher könnte die fortgeführte Polemik um die Teilnahme der russischen parlamentarischen Delegation dazu dienen, von den Versäumnissen in Russland abzulenken, was sehr bedauerlich wäre.

Da gerade in den bilateralen Beziehungen vieler Länder zu Russland Menschenrechtsfragen nur untergeordnete Prioritäten haben, scheint mir die kritische Diskussion mit Russland in allen Foren des Europarates vordringlicher denn je. Russland dürfte wohl weniger auf Anreize und Sanktionen reagieren, als auf einen direkten kritischen Dialog.

Unser Land versucht diesen Dialog zu führen. So hat in den letzten Tagen in Genf ein Menschenrechtsdialog der Schweiz mit Russland stattgefunden und die Parlamentarische Freundschaftsgruppe Schweiz-Russland hat Kollegen der Duma zu einem Föderalismusseminar in die Schweiz eingeladen.

Der Europarat dient dazu, Brücken zu bauen, nicht dazu, sie einzureißen und Mauern aufzubauen. Ich bitte Sie, meine Gedanken in ihre Überlegungen einzubeziehen.

Besten Dank.

Marieluise BECK, Deutschland, ALDE / ADLE

(Dok. 13800)

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich habe in meinem politischen Leben einmal sehr deutlich gelernt, dass das erste, worauf Opfer einen Anspruch haben, die Wahrheit ist. Das war, als Bosnien über Jahre hinweg angegriffen wurde und wir sogar im Fernsehen sehen konnten, wie in der Stadt Sarajevo Zivilisten beschossen wurden. Wir haben uns damals sehr schwergetan, wirklich auszusprechen, was dort passierte, weil wir lieber in der Äquidistanz bleiben wollten.

Ich glaube, es ist unverzichtbar, dass wir alle uns der Verpflichtung stellen, genau hinzuschauen und nichts zu verdrängen zu versuchen. Ich fordere alle Kollegen Parlamentarier auf, sich bei ihren nationalen Geheimdiensten Bilder und andere Beweise zeigen zu lassen, um ein klares Bild davon zu erhalten, was im Donbass passiert. Sie können klare Belege dafür bekommen, dass dort russische Kräfte auf dem Territorium der Ukraine tätig sind.

Wir sagen, dass wir den Dialog mit den Kollegen beibehalten müssen. Das ist richtig, sofern die Kollegen auch nur ein winziges Zeichen aussenden, dass sie einen Dialog wünschen.

Hat schon einer unserer Kollegen gesagt, dass er die Gefangenschaft von Nadejda Savtchenko – Ihrer Kollegin – nicht richtig findet? Hat es schon ein so kleines Zeichen von den russischen Kollegen gegeben?

Auch musste der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung heute seine Reise nach Russland absagen, weil er zur nicht erwünschten Person erklärt wurde.

Es gibt derzeit kein Zeichen des Wunsches und der Offenheit von unseren russischen Kollegen. Das bedaure ich.

Wir dürfen aber auch nicht so naiv sein, es nicht zur Kenntnis zu nehmen, wenn die Versammlung und damit ihre Autorität brüskiert wird. Wir dürfen diese Autorität nicht einfach weggeben, sondern müssen auf den klaren Regeln und der Geschäftsgrundlage dieses Europarats bestehen. Jeder, der hier mitmachen und gemeinsam an der Gewinnung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Frieden für Europa arbeiten möchte, ist eingeladen, diese Geschäftsgrundlage anzunehmen.

Wenn uns aber ein Mitgliedstaat ostentativ zeigt, dass ihn diese Prinzipien im Augenblick überhaupt nicht interessieren, dann dürfen wir nicht so naiv sein, nicht zu reagieren. 2008, im Rahmen des Krieges mit Georgien, haben wir nicht reagiert. Ist daraus eine größere Offenheit der russischen Delegation entstanden?

Ich glaube, wir haben damals einen Fehler gemacht. Deswegen bin ich dafür, dass wir die Autorität der Versammlung reklamieren, indem wir dieser vorgeschlagenen Resolution folgen.

Andrej HUNKO, Deutschland, UEL/GUE

(Dok. 13800)

Vielen Dank, Frau Präsidentin!

Meine Damen und Herren!

Im Juli 1989, vor nunmehr 26 Jahren, sprach der damalige Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow hier vor dieser Versammlung und breitete in seiner Rede die Vision eines gemeinsamen europäischen Hauses aus.

In den folgenden Monaten und Jahren erlebten wir eine unglaubliche Entwicklung: In Deutschland kam es mit Zustimmung der sowjetischen Seite wenige Monate später zur Wiedervereinigung, dem Abzug der sowjetischen Truppen aus Ostdeutschland und der Zustimmung zur Mitgliedschaft Gesamtdeutschlands in der Nato.

Es gab damals die Zusage, dass die Nato sich nicht weiter nach Osten ausweiten würde. Ich bin der Meinung, dass die später, in den 90-er Jahren, gefällte Entscheidung, die Nato immer weiter nach Osten auszuweiten, eine der Grundlagen für den gegenwärtigen Konflikt ist.

Lassen Sie mich den großen US-amerikanischen Außenpolitiker George Kennan zitieren, der 1997 schrieb: „Die Entscheidung der Regierung Clinton, die Nato bis zu den Grenzen Russlands zu erweitern, ist der verhängnisvollste Fehler der amerikanischen Politik in der Ära nach dem Kalten Krieg. Diese Entscheidung muss erwarten lassen, dass die nationalistischen, anti-westlichen und militaristischen Tendenzen in der Meinung Russlands entzündet werden, dass sie einen schädlichen Einfluss auf die Entwicklung der Demokratie in Russland haben, dass sie die Atmosphäre des Kalten Krieges in den Beziehungen zwischen Osten und Westen wiederherstellen und die russische Außenpolitik in Richtungen zwingen werden, die uns entschieden missfallen werden.“

Ich glaube, dass diese Osterweiterung eine der Grundlagen des Konfliktes ist, weil die russische Seite immer wieder klargemacht hat, dass eine Mitgliedschaft der Ukraine oder Georgiens in der Nato für sie eine rote Linie darstellt.

Es ist m.E. wichtig, auch über Lösungen zu diskutieren. Natürlich ist die Annexion der Krim zu verurteilen, aber wir müssen auch über einen möglichen Ausweg aus der gegenwärtigen Lage nachdenken, anstatt immer nur mit dem Finger auf Russland und den großen Krieg zu zeigen.

Ich möchte vorschlagen, darüber nachzudenken, ob wir Michail Gorbatschow nicht heute, 26 Jahre nach seiner Rede, für nächsten Oktober erneut hierher einladen sollten. Das wäre ein wichtiges Signal und gäbe die Möglichkeit, die Beziehungen mit Russland zu erneuern.

Vielen Dank.

Josip JURATOVIC, Deutschland, SOC

(Fragen an Herrn Mladen IVANIĆ, Vorsitzender des Staatspräsidiums von Bosnien-Herzegowina)

Vielen Dank, Frau Vorsitzende!

Vielen Dank, Herr Vorsitzender des Staatspräsidiums!

Bosnien-Herzegowina will in die Europäische Union. Wir begrüßen dies ausdrücklich. Allerdings befindet sich Bosnien-Herzegowina in einem Zustand der nationalistischen „Demokratur“, in der jemand, der sich zu keinem nationalistischen Lager bekennt, quasi entrechtet ist. Die EU dagegen ist eine Gesellschaftsform, in der das persönliche, nicht das kollektive Recht im Vordergrund steht. Dass bei diesem Zustand die Menschen in Bosnien-Herzegowina, vor allem die Jugendlichen, keine Zukunft sehen, bedarf keiner näheren Erklärung.

Meine Fragen: Wie lange schätzen Sie, wird man die Menschen in Bosnien-Herzegowina in diesem Zustand halten?

Sind Sie sich sicher, dass die politischen Eliten in Bosnien-Herzegowina tatsächlich den Beitritt zur EU wollen?

Die Grenzen Europas sind unveränderbar. Infolgedessen ist das Zusammenleben ein bosnisch-herzegowinisches Schicksal. Zum Zusammenleben braucht man gegenseitiges Vertrauen, für das wiederum in Bosnien-Herzegowina Versöhnung nötig ist. Werden Sie sich am 11. Juni in Srebrenica vor den Opfern des dort vor 20 Jahren ausgeübten Massakers verneigen und werden Sie den serbischen Ministerpräsidenten, Aleksandar Vučič, ermutigen, sich dort ebenfalls zu verneigen?

Marieluise BECK, Deutschland, ALDE / ADLE

(Fragen an Herrn Mladen IVANIĆ, Vorsitzender des Staatspräsidiums von Bosnien-Herzegowina)

Herr Präsident!

Es gab im Jahre 2013 einen Zensus, dessen Ergebnisse bis zum heutigen Tag nicht veröffentlich worden sind. Ist mit der Veröffentlichung zu rechnen? Denn es ist durchgesickert, dass sehr viele Bürgerinnen und Bürger sich wider Erwarten nicht ethnisch zugeordnet haben.

Könnte das nicht auch ein Wegweiser für die politischen Eliten sein, sich von der ethnischen Teilung der Bevölkerung zu verabschieden und auf das Zusammenführen der Menschen statt auf ihre Trennung hinzuarbeiten?