AL16CR11

AS (2016) CR 11
Provisorische Ausgabe

SITZUNGSPERIODE 2016

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(2. Teil)

BERICHT

02. Sitzung

Montag, 18. April 2016, 15.00 Uhr

Frank SCHWABE, Deutschland, SOC

(Fragen an den Menschenrechtskommissar des Europarats, Nils MUIŽNIEKS)

Vielen Dank, Herr Kommissar, für die Arbeit des letzten Jahres, die auch für uns wieder Maßstäbe gesetzt hat.

Ich möchte Sie ausdrücklich nach der Lage der Menschenrechtsorganisationen, der NGOs fragen. Wir reden weltweit über den „shrinking space“ dieser Organisationen. Wie würden Sie die Situation und die Entwicklung der letzten Jahre beschreiben, wenn Sie sich die Lage in unseren 47 Mitgliedsstaaten anschauen? Gibt es besonders negative Beispiele der Gesetzgebung?

Wenn ich noch eine Frage anschließen darf: Sie erwähnten Ihren Besuch in der Türkei. Wissen Sie, wie es den Menschen geht, die aus der EU in die Türkei zurückgeführt werden?

Stefan SCHENNACH, Österreich, SOC

(Debatte zum Zeitgeschehen: Die Affäre der „Panama Papers“)

Herr Vorsitzender,

Kolleginnen und Kollegen!

Das Büro hat mich mit der verantwortungsvollen Aufgabe betraut, diese Einleitung zu machen, weil ich seit kurzem Berichterstatter des Europarates für „dirty money“ bin.

„Solide Steuersysteme sind die Eckpfeiler der öffentlichen Finanzen.“ Das war der erste Satz einer Resolution, die Dirk Van der Maelen dieser Versammlung 2012 vorgelegt hat. Diese Resolution wurde von unserer Versammlung angenommen. Doch seit diesem Bericht, in dem Dirk Van der Maelen forderte, dass wir betreffend der Steuersysteme eine angemessene Politik zu fördern hätten, hat sich das Gegenteil entwickelt. Es ist eine Tatsache, dass sich so genannte „Regulierungsoasen“, secrecy jurisdictions, Steueroasen, Offshore-Finanzzentren seither ausgeweitet haben. Die so genannten „Panama-Papers“ unterstreichen dies.

Ich werde heute nicht über Präsidenten, Familien, Regierungsmitglieder oder einzelne Banken sprechen. Doch ich möchte unterstreichen, was für eine unglaubliche Kriminalität dies ist, denn dieses Geld fehlt den Staaten für die medizinische Versorgung ihrer Bevölkerung, die Schulausbildung der Kinder, die Altersversorgung, die Infrastruktur. Es handelt sich nicht um ein Kavaliersdelikt!

8% des weltweiten Vermögens – 7,5 Trillionen US-Dollar – liegen in Steueroasen. Nach einem Bericht von Gabriel Zucman wurden 80% davon, also etwa 6 Trillionen, niemals versteuert.

In Steueroasen liegen 10% des europäischen Vermögens, sowie, was besonders bedenklich ist, 30% des Vermögens afrikanischer Staaten (ebenso wie übrigens auch 50% des russischen Vermögens).

Der Kampf gegen Steueroasen und Offshore-Finanzzentren hat eine lange Geschichte. 2009 stellten die US-Behörden fest, dass 83 von 100 großen Unternehmen ihr Geld z.T. in Offshore-Oasen geparkt haben. Bereits 1995 erließ die OECD Guidelines und veröffentlichte danach eine Schwarze Liste. Nach 7 Jahren identifizierte die OECD 47 Länder, die nach ihren Guidelines den Steuerparadiesen oder Regulierungsoasen zuzurechnen sind. 7 Länder kamen damals auf die Schwarze Liste.

2011 erstellte die NGO „Tax Justice Network“ einen so genannten „Finance Secrecy Index“, in dem bereits 71 Staaten aufgelistet waren. 2012 kam der Bericht meines geschätzten Freundes Van der Maelen und 2015 veröffentlichte Zucman das Buch „Steueroasen: Wo der Wohlstand der Nationen versteckt wird“. 2011 kam der G20-Gipfel in Cannes zu einem Übereinkommen, in dem in Steuersachen Amtshilfe und automatischer Informationsaustausch vereinbart wurden.

Natürlich sind auch einige Freiwilligkeiten dabei. Deshalb war auch der Appell der Parlamentarischen Versammlung von 2012 so wichtig, eine Harmonisierung der europäischen Körperschaftssteuer anzustreben, eine einheitliche Bemessungsgrundlage als Schritt zu einer Gewinnbesteuerung multinationaler Unternehmen sowie den automatischen - nicht nachgefragten oder freiwilligen - Austausch von Steuerdaten anzulegen.

Wo stehen wir in dieser Frage heute? Wenn ich mir anschaue, wo manche Unternehmen Steuern zahlen und wo sie tätig sind z.B. in der Musikbranche, dann sehe ich: Die Arbeit wird in Köln gemacht, der Vertrag kommt aus Luxemburg und das Geld kommt aus Irland. Da wird ja alles nur verschachtelt und versteckt!

Die Panama-Papiere machen auch sichtbar, woher das Geld kommt: von Gewinnen, die man nicht versteuern will, aber auch aus der Geldwäsche und politischer Korruption. Deshalb müssen wir uns auch die Player anschauen: seriöse Banken mit ihren Zweigstellen und Anwaltskanzleien.

Bei den so genannten offshore Leaks wurden 214 000 Briefkastenfirmen aufgelistet; 2013 waren es lediglich 130. Man sieht, wie das innerhalb von 2-3 Jahren explodiert ist.

Das Ärgerliche ist ja, dass dieses Geld den Staaten für ihre Aufgaben fehlt. Mossack Fonseca ist nur einer der Player; ich kann Ihnen 20 solcher Anwaltskanzleien nennen. 500 europäische Banken mit ihren Töchtern besitzen alleine 15 600 Briefkastenfirmen. Bei den Niederlanden sehen wir 46 000 Firmen ohne einen einzigen Angestellten. Das zeigt unsere parlamentarische Verantwortung.

Liz Nelson, Direktorin des „Tax Justice Networks“, sagte: „None of the reforms we have seen would have taken place without pressure from the civil society and the streets. It’s essential to keep up the pressure, especially on matters such as implementing public disclosure and company ownership and, crucially, of trusts.

In der EU werden jährlich 1000 Milliarden Steuern hinterzogen. Das Gesamtdefizit aller EU-Mitgliedsstaaten beträgt derzeit 419 Milliarden Euro. Lediglich die Hälft der jährlich hinterzogenen Summen wäre also ausreichend, um die wirtschaftliche Basis der EU-Mitgliedsstaaten zu sanieren. Deshalb müssen wir die Steuersümpfe trockenlegen, auch solche, die zu EU-Mitgliedsländern gehören! Wir brauchen volle Transparenz, die Verpflichtung der Offenlegung, die schon 2012 hier gefordert wurde, nämlich das „country by country reporting“. Wir müssen das „profit shifting“, die Gewinnverlagerung stoppen und auch sanktionieren. Das Steuerdumping in Europa muss ausgetrocknet werden. Wenn man Mitglied einer Gemeinschaft ist, hat man sich nicht gegenseitig mit Steuern die Basis abzugraben.

Des Weiteren müssen die Maßnahmen zur Betrugsbekämpfung endlich mit harten Strafen ausgestattet werden. Das muss so weit gehen, dass man Zweigstellen von Banken schließen lassen kann. Außerdem müssen die Berater in die Pflicht genommen werden: Anwaltskanzleien und Banken. Sie können nicht alles tun, was dem Gemeinwohl der Staaten und vor allem der Menschen schadet. Deshalb sollten wir diese „Panama Papers“ dazu benutzen, nicht über einzelne Präsidenten oder Familien zu reden, sondern prinzipiell über das System dahinter und was es am gemeinsamen Wohlstand und bei der Erfüllung sozialer Aufgaben verhindert.

Danke.