AL16CR12

AS (2016) CR 12
Provisorische Ausgabe

SITZUNGSPERIODE 2016

________________

(2. Teil)

BERICHT

12. Sitzung

Dienstag, 19. April 2016, 10.00 Uhr

Jean-Claude JUNCKER, Präsident der Europäischen Kommission

(Ansprache)

(Vorher Ansprache auf Englisch) Genau dafür, Herr Präsident, stehen die Europäische Menschenrechtskonvention und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Zusammen garantieren sie Freiheit und Würde jedes einzelnen Bürgers in den 47 europäischen Ländern. Die Europäische Union ist verpflichtet, dieser Konvention beizutreten, eine Verpflichtung, die in unseren EU-Verträgen festgelegt ist.

Lassen Sie mich klar und deutlich sagen: Dieser Beitritt zur Konvention ist eine politische Priorität für die von mir geführte Kommission und für mich persönlich. Wir arbeiten an einer Lösung und werden nicht eher ruhen, bis wir eine Lösung gefunden haben.

Ich möchte diese Gelegenheit auch nutzen, um dem Generalsekretär meine volle Unterstützung zuzusagen, wenn er sich dafür einsetzt, die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen. Regierungen können sich nicht einfach aussuchen, welche Urteile ihnen passen und welche nicht. Wenn sie das Gericht missachten, schaden sie der Konvention, und wenn sie mit den Menschenrechten spielen, tun sie ihren eigenen Bürgern Unrecht, denn dann brechen sie die Institution, die uns alle schützt. Deshalb hat der Generalsekretär meine volle Unterstützung, um dieses Problem energisch anzugehen.

Unsere Institutionen sind nur so stark wie der Respekt, den wir ihnen zollen, und unsere Gesetze sind nur so stark wie unser Wille, sie umzusetzen. In schwierigen Zeiten müssen wir deshalb doppelt so hart daran arbeiten, sie aufrecht zu erhalten. Unsere Freiheit und unsere Würde müssen uns das wert sein.

Als ich 2006 meinen Bericht über die Beziehungen zwischen dem Europarat und der Europäischen Union vorlegte, war schon erkennbar, dass das europäische Projekt an manchen Ecken und Kanten ausfranste; es gab Frust und Enttäuschung. Dies hat sich nicht wesentlich geändert, eher im Gegenteil. Aber ich bin und bleibe Optimist, weil ich die Kraft unserer Institutionen und des europäischen Gedankens kenne.

Der Europarat und die EU sind Partner. Unser Fundament ist das gleiche, unsere Ideale sind dieselben. Unsere Mittel mögen nicht immer identisch sein, aber wir ergänzen einander immer. Vor allem in Zeiten der Unsicherheit müssen wir das nutzen und unseren Gesellschaften Stabilität, Richtung und Orientierung bieten. Dabei ist unsere Partnerschaft umso wichtiger, weil wir das bewahren und verteidigen, was uns zu Europäern macht.

Eigentlich und bei Licht betrachtet, können wir stolz auf die europäische Nachkriegsgeschichte sein. Stolz darauf, dass auf einem Kontinent, wo Krieg und Gewalt ihre brutale Gesetzeskraft entfalteten, Frieden eingekehrt ist. Stolz darauf, dass es uns gelungen ist, nach der Wende in Ost- und Mitteleuropa europäische Geschichte und europäische Geographie zusammen zu führen.

Deshalb schaue ich mit Zuversicht in die Zukunft, denn das europäische Haus ist für die Zukunft gebaut.

Vielen Dank.

Axel E. FISCHER, Deutschland, EPP/CD / PPE/DC

(Fragen an Jean-Claude JUNCKER, Präsident der Europäischen Kommission)

Sehr geehrter Herr Präsident Junker!

Im Namen der EVP-Fraktion bedanke ich mich bei Ihnen sehr herzlich für diese eindrucksvolle Rede, in der Sie Bilanz gezogen haben.

Sie haben viele Punkte angesprochen, die uns sehr gut gefallen. Mir hat besonders gefallen, dass Sie sagten, wir, die Europäische Union und der Europarat, sind Nachbarn, aber ergänzen einander. das möchte ich in meiner Frage aufgreifen.

Wo sehen Sie die Hauptpunkte für die zukünftige positive Entwicklung für Europa, wo wir gemeinsam zusammenarbeiten können?

Jean-Claude JUNCKER, Präsident der Europäischen Kommission

(Antwort an Axel E. FISCHER)

Ich hatte fast den Eindruck, als ob ich diese Frage schon in Teilen beantwortet hätte, aber ich werde meine eigenen Gedanken gern aufgreifen, um sie weiterführend zu behandeln.

Ich glaube, dass wir in vielerlei Beziehung pragmatisch und pragmatischer zusammenarbeiten müssen. Große Prinzipienerklärungen wie jene, die ich gerade vorgetragen habe, mögen ihren Wert haben, aber wenn es um sehr konkrete Probleme geht, dort, wo die Dinge sich hart im Raum stoßen, müssen Europarat und Europäische Union Hand in Hand zusammenarbeiten.

Dies gilt sowohl für Probleme auf unserem Kontinent, als auch für Probleme außerhalb unseres Kontinents, wie beispielsweise die Notwendigkeit, dass wir in Sachen internationale Entwicklungszusammenarbeit – ich rede nicht gern von Entwicklungshilfe – deutlich machen, dass Europa nicht nur ein Projekt für sich selbst, sondern auch ein Angebot an die Welt ist.

Jean-Claude JUNCKER, Präsident der Europäischen Kommission

(Antwort an Gülsün BİLGEHAN)

Wir haben uns mit der Türkei darauf verständigt, in Sachen Visaliberalisierung demnächst Fortschritte zu machen. Dies ist Notwendig, weil ich der Auffassung bin, dass Nationen sich besser zu verständigen wissen, wenn die Menschen einander näher gebracht werden. Deshalb bin ich für die Visaliberalisierung zwischen der EU und der Türkei.

Dabei geht es nicht darum, europäische Werte aufzugeben. Ich bin eigentlich verärgert über diese pausenlose, nicht belegbare und nicht belegte Kritik, die besagt, dass die EU ihre Seele aufgegeben habe, indem sie ein Abkommen mit der Türkei geschlossen hat, um über 3 Millionen Flüchtlingen in der Türkei zu helfen. Das Geld, das die EU zur Verfügung stellt, geht nicht an die türkische Regierung oder den türkischen Haushalt, sondern kommt den Flüchtlingen, die sich in der Türkei aufhalten, sofort, direkt und überprüfbar zugute.

Und in Sachen Visaliberalisierung gibt es, wie ich das eben ausgeführt habe, keinen „Flüchtlingsrabatt“. Die Kriterien sind zu respektieren, sowohl von der Türkei, als auch von Georgien und allen anderen.

Gergely GULYÁS, Ungarn, EPP/CD / PPE/DC

(Fragen an Jean-Claude JUNCKER, Präsident der Europäischen Kommission)

Die Migrationskrise ist und war für Europa eine riesige Herausforderung. Nach dem Beginn der Krise wurde das Schengen-Abkommen tagtäglich verletzt, ohne dass die Kommission dagegen eingeschritten wäre.

Wir wissen, wie schwierig es ist, sich zu einem Irrtum zu bekennen, der seit langer Zeit besteht – sei es im privaten oder im öffentlichen Leben. Deshalb begrüßen wir, dass heute auch für die Kommission der Schutz der Schengen-Grenzen höchste Priorität genießt.

Ich möchte Sie fragen, Herr Präsident, was für eine Lösung die Kommission finden wird, wenn ein Mitgliedsstaat den Schutz der Schengen-Grenzen verlässt, und wie Sie die Situation des Grenzschutzes jetzt in Europa sehen.

Dankeschön.

Thomas FEIST, Deutschland, EPP/CD / PPE/DC

(Freie Debatte)

Vielen Dank!

Ich möchte unter der Überschrift „Menschenrechte und demokratische Teilhabe“ den Fokus auf einen für uns ganz wesentlichen Aspekt richten: die Bildung und die Jugend.

Wenn wir es nicht schaffen, jungen Leuten in unseren Ländern die Möglichkeit einer guten und umfassenden Bildung zu geben, wird man nicht erwarten können, dass sich diese jungen Menschen auch für Menschenrechte einsetzen oder in der demokratischen Partizipation einen großen Mehrwert sehen. Deshalb finde ich es wichtig, dass wir diese Themen auch hier vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarats mit begleiten und mit setzen.

Einen ganz wichtigen Punkt sehe ich darin, dass die Würde des Menschen nicht erst anfängt, wenn der Mensch einen akademischen Abschluss hat. Mindestens so wichtig ist es, dass wir uns um die jungen Menschen in Europa und anderswo kümmern, die eine gute berufliche Ausbildung absolvieren.

Ich habe festgestellt, dass gerade im Bereich der beruflichen Ausbildung, wenn junge Menschen sich treffen, oftmals die Schranke in den Köpfen nicht so hoch ist. Bei den Berufsweltmeisterschaften, die alle zwei Jahre durchgeführt werden, habe ich Bilder gesehen, die ich so noch nirgendwo anders gesehen habe: Da stand das iranische Team neben dem amerikanischen, palästinensische Vertreter waren ebenso auf der Bühne wie Israel. Dies ist ein gutes Zeichen, denn junge Menschen, die den Wert einer eigenen guten beruflichen Bildungsbiografie erfahren haben, sind natürlich auch viel eher in der Lage, sich in demokratische Prozesse miteinzubringen.

Wenn das, was wir hier sehr oft auf abstrakter Ebene diskutieren, auch konkret werden soll, finde ich es wichtig, in diesem Bereich der Bildung Schwerpunkte zu setzen. Es geht ja auch darum, dass wir heute, bei einer hochgradig individualisierten Bildungskarriere darauf achten müssen, dass wir über kulturelle Bildung genau die Bindeelemente hineinbringen, die wir in unseren Mitgliedsstaaten brauchen.

Deswegen ist es wichtig, nicht nur auf der obersten Ebene über Menschenrechte zu sprechen; das Recht auf eine gute Bildung sollte für uns mindestens genauso selbstverständlich sein. Wir brauchen also nicht nur in der schulischen Bildung wichtige Elemente auch einer politischen und kulturellen Bildung, sondern müssen auch darüber hinaus jungen Menschen die Möglichkeit geben, ein selbstbestimmtes und erfülltes Leben zu führen.

Denn dann haben sie auch die Möglichkeit, sich in die Diskussionen, die wir hier in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates anstoßen, miteinzuklinken und dies zu einer Basisbewegung zu machen.

Judith OEHRI, Liechtenstein, ALDE / ADLE

(Fragen an Ahmet DAVUTOĞLU, Ministerpräsident der Türkei)

In Anbetracht der Zeit habe ich eine sehr kurze Frage. Ich bitte Sie um eine Stellungnahme zu dem Vorwurf der zunehmenden Unterdrückung der Frauen in der Türkei. Zudem gibt es einen Vorwurf von Amnesty International, dass die Türkei die Flüchtlinge entweder in Haft setzt oder zurück in ihr Heimatland schickt, wo ihnen Verfolgung, Folter und Tod drohen. Damit handelt sie in starkem Kontrast zur bisherigen sehr humanitären Haltung.

Was sagen Sie zu diesem Bericht?

Besten Dank.