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AS (2016) CR 22
Provisorische Ausgabe

SITZUNGSPERIODE 2016

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(3. Teil)

BERICHT

22. Sitzung

Dienstag, 21. Juni 2016, 15.30 Uhr

Rainer GOPP, Liechtenstein, ALDE / ADLE

(Fragen an Frau Marina KALJURAND, Außenministerin der Republik Estland und Vorsitzende des Ministerrats)

Frau Ministerin, bei meiner Frage geht es um das gleiche Thema, nämlich die Gleichstellung der Geschlechter. Sie haben das in den Mittelpunkt Ihrer Präsidentschaft gestellt.

Nach wie vor ist in der Wirtschaft eine Geschlechtergleichstellung in vielen Staaten des Europarates nicht gegeben. Wie ist es in der Politik? Glauben Sie, dass die Tatsache, dass es in politischen Führungspositionen weniger Frauen gibt, auf die Gleichstellung zurückzuführen ist, oder sehen Sie andere Gründe?

Meine zweite Frage: Wie sehen Sie die Entwicklung bei der Durchsetzung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofes?

Danke.

Rainer GOPP, Liechtenstein, ALDE / ADLE

(Dok. 14080)

Frau Vorsitzende!

Herr Berichterstatter, dieser Bericht spricht ein wichtiges, heikles und ernsthaftes Thema an. Ich kann darin einiges unterstützen, vieles aber nicht. Spontan fragte ich mich schon beim Lesen des Titels: Warum verwendet man das Wort „Übersexualisierung“ heute überhaupt? Meines Erachtens eine Steigerungsform, die nicht nötig wäre.

Worum geht es eigentlich?

Es geht um Bilder, welche in unserer Gesellschaft vermehrt von Jugendlichen vermittelt werden.

Es geht um Aktionen Jugendlicher, wie dem Sexting, oder auch um Kleidung, die aus Jugendlichen Sexobjekte machen können.

Es geht um den einfachen Zugang zu Sexistischem oder gar zu Pornographischem.

Die Geschwindigkeit, mit welcher sich die Medienlandschaft in den letzten Jahren entwickelt hat, ist immens. Neue Medien und auch die Endgeräte erlauben ad hoc-Aktionen und eine Kommunikation, die zu unüberlegten Handlungen mit schwerwiegenden Konsequenzen führen können.

Auch haben sich gesellschaftliche Strukturen verändert, insbesondere die Struktur der Familie. Beide Elternteile sind oft beruflich eingespannt und die Qualität der gemeinsamen Zeit bekommt so einen neuen Stellenwert. Gleichzeitig sind die äußeren Einflüsse rasant angestiegen, und damit Gruppenzwänge, die in verschiedensten Bereichen ein unüberlegtes, risikoreicheres Handeln mit sich bringen können. Gespräche, aktives Zuhören, inhaltliche Auseinandersetzungen oder auch die richtigen Leitplanken in der Erziehung zu setzen, bekommen eine andere Qualität.

Und wo liegt die Verantwortung?

In erster Linie doch nach wie vor bei den Eltern. Sie vermitteln Werte, setzen Leitplanken, weisen auf Gefahren hin und helfen, sich von solchen Gefahren abzugrenzen.

Es sind auch verantwortungsvolle Lehrpersonen, Lehrmeister oder andere Betreuungspersonen, die den Jugendlichen wertvolle, prägende Vorbilder sein können.

Ich bin überzeugt, wir verändern nichts, wenn wir glauben, mit Datensammlungen quasi vorgeschoben empirische Beweise zu erhalten.

Ich bin überzeugt, wir verändern auch kaum etwas, wenn wir glauben, über Gesetze zum weltumspannenden Netz namens Internet wirklich etwas verändern zu können.

Ja, diese Entwicklung birgt Gefahren für unsere Jugend. Wir müssen uns sicherlich ernsthaft überlegen, wo anzusetzen ist.

Ich verwehre mich aber dagegen, dass die Mehrheit der Jugendlichen nicht die Vernunft und das Umfeld habe, sich vor solchen Gefahren zu schützen.

Ich verwehre mich auch dagegen, alles über einen Kamm zu scheren zu glauben, dass wir in den 47 Mitgliedsstaaten des Europarates eine einheitliche Antwort auf die Frage erhalten werden, was als sexualisiert oder sexistisch zu gelten hat. Das ist eine kulturelle Frage.

Helfen wir doch den Eltern dabei, in dieser neuen Zeit der Medien und der Kommunikation Werkzeuge zu erhalten, um dieser zugegeben komplexer gewordenen Aufgabe gerecht werden zu können.

Hier kann sicherlich mit Kampagnen und vor allem beim Bildungssystem angesetzt werden, nicht aber mit Gesetzen oder einem aussichtslosen Versuch der Moralisierung.

Mechthild RAWERT, Deutschland, SOC

(Dok. 14080)

Sehr geehrte Präsidentin,

liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich danke dem Berichterstatter, vor allem aber auch Frau de Boer-Buquicchio für ihre differenzierten Ausführungen.

Der Bericht behandelt das Phänomen der Sexualisierung von Kindern in der Öffentlichkeit und verortet das Problem zu Recht nicht in der schulischen Aufklärung über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt, sondern in der klischeehaften Darstellung von Geschlechterrollen in den Medien. Diese Unterscheidung ist allerdings sehr viel stärker herauszuarbeiten.

Der Bericht benennt – allerdings nur bei Mädchen – mögliche Folgen dieser Sexualisierung: geringe Selbstachtung, gestörtes Verhältnis zum Körper, gesundheitliche Schäden.

Sexualisierung von Kindern ist aber kein Mädchenproblem. Diese Betrachtungsweise wäre falsch und ist auch eine Schwäche des Berichts.

Die Sexualisierung von Jungen sowie die Wirkung der Sexualisierung von Mädchen auf Jungen werden im Bericht durchgehend heruntergespielt und als nachrangig beachtet, dabei sind Jungen und Mädchen nachweislich gleichermaßen von der Sexualisierung betroffen. Folgen männlicher Sexualisierung werden erst gar nicht angesprochen.

Der Bericht geht zwar darauf ein, dass unrealistische, sexualisierte Vorbilder bei Mädchen und heranwachsenden Frauen Gewalt gegen den eigenen Körper erzeugen können, behandelt aber mit keinem Wort, welche Art von Gewalt bei Jungen und heranwachsenden Männern als Folge von unrealistischen, sexualisierten männlichen Vorbildern entstehen kann.

Auch bei Jungen kann die Sexualisierung zu negativen körperlichen Folgen führen, etwa durch Einnahme von Anabolika zum Muskelaufbau. Im Zusammenhang mit männlicher Gewalt gegen Frauen und queere Menschen wird in der Forschung zudem von „toxic masculinity“ gesprochen, einer übersexualisierten Darstellung von Männlichkeit als gewaltbereit, emotionslos, homophob und gegenüber Frauen sexuell aggressiv.

Inzwischen wird „toxic masculinity“ mit männlicher Gewalt in Verbindung gebracht, wie z.B. auch bei Anschlägen wie in Orlando.

Der Bericht driftet öfters in patriarchale Denkmuster; das sollte abgestellt werden. Auch Prinzessinnen, zumindest die modernen heute, treten selbstbewusst und eigenständig auf.

Insgesamt tendiert der Bericht dazu, Sexualität auf den privaten Bereich zu begrenzen und sieht Eltern als die wichtigsten Ansprechpartner von Kindern in Sachen Sexualität. Aber soll die Sexualaufklärung, wie wir sie vielleicht im Kindesalter noch genossen haben, auch die der Zukunft sein? Wir brauchen eine positive Auseinandersetzung mit Sexualität in den Medien und den Schulen – wir brauchen eine „comprehensive sexual education“, so wie es jetzt auch gerade die UN-Vollversammlung gefordert hat.

Homosexualität, Bisexualität, Transgeschlechtlichkeit, Intersex und andere queere Identitäten werden in dem Bericht komplett tabuisiert, obwohl auch hier Kinder und Heranwachsende betroffen sind. Diese Beschreibung sexueller Identität ist unzureichend.

Gabriela HEINRICH, Deutschland, SOC

(Dok. 14073)

Sehr geehrte Frau Vorsitzende,

liebe Kolleginnen und Kollegen!

„Von den Mitgliedern der Streitkräfte kann nicht erwartet werden, dass sie die Menschenrechte in ihren Operationen respektieren, wenn der Respekt für diese Rechte nicht innerhalb der Streitkräfte selbst garantiert ist.“

Dieser zentrale Satz aus Absatz 5 fasst den Bericht von Maryvonne Blondin eindrucksvoll zusammen. Ich danke Ihnen, Maryvonne, für diesen hervorragenden Bericht. Er zeigt uns deutlich, dass die Streitkräfte noch immer eine männlich geprägte Domäne sind – in Teilen eine deutlich frauenfeindliche Domäne.

Diskriminierung, Belästigung, Gewalt gegen Frauen – all das beschreibt der Bericht völlig zutreffend. Er gibt uns aber auch wichtige Empfehlungen an die Hand, diese Missstände zu beenden.

Eine gute Gelegenheit, etwas zu verbessern, ist jetzt. Viele Mitgliedsstaaten des Europarates erstellen nationale Aktionspläne zur Umsetzung der UNO-Resolution 1325 oder überarbeiten bereits bestehende nationale Aktionspläne.

Die Streitkräfte attraktiver für Frauen zu machen, ist untrennbar verbunden mit der Resolution 1325. Denn deren Umsetzung hat eben nicht nur Auswirkungen auf außenpolitische Politikfelder, sondern auch auf die Innenpolitik und die strukturelle Anpassung der Streitkräfte.

Ich nenne als gutes Beispiel Australien. Dieses hat 2012 einen nationalen Aktionsplan zur Resolution 1325 veröffentlicht. Dieser enthält Strategien für das Human Resource Management der australischen Streitkräfte. Bis 2018 soll unter anderem umgesetzt sein:

- Ein Trainingsprogramm für den Themenkreis rund um die Resolution 1325

- Ein Programm, das den Anteil von weiblichen Führungskräften erhöht

- Ein Mechanismus für Beschwerden von Frauen

und

- Die vollständige Untersuchung aller Berichte und Vorwürfe hinsichtlich geschlechtsspezifischer Gewalt.

Das ist vorbildlich. In einer Zeit, in der Friedensmissionen der Vereinten Nationen immer wichtiger werden, wird auch die Frauenförderung in unseren Armeen immer wichtiger. Weibliche Soldaten in Friedensmissionen verbessern Effektivität, Image, Zugang und Glaubwürdigkeit der Mission bei der einheimischen Bevölkerung. Sie können Ansprechpartnerinnen für zum Teil schwer traumatisierte Frauen sein und Frauen ermutigen, ihre Rechte durchzusetzen.

2015 hat UN Women in einer globalen Studie über die Resolution 1325 alle Staaten aufgefordert, sich konkrete Ziele zu setzen, wie der Frauenanteil insbesondere oben in der Befehlskette erhöht werden kann. Deshalb ist jetzt genau der richtige Moment für den Europarat, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, das Maryvonne Blondin so sachkundig aufbereitet hat.

Vielen Dank.

Gisela WURM, Österreich, SOC

(Dok. 14073)

Danke, Frau Vorsitzende!

Ich danke der Berichterstatterin Maryvonne Blondin für diesen hervorragenden Bericht, aber auch dafür, dass dieses Thema durch sie aufgeworfen wurde.

Obwohl ich dieser Versammlung schon lange angehöre, kann ich mich nicht erinnern, hier jemals über das Thema der Geschlechtergleichstellung in den Streitkräften diskutiert zu haben. Ich bin froh, dass wir heute die Gelegenheit dazu haben, denn Geschlechtergleichstellung in den Streitkräften ist nach wie vor oft nur Zukunftsmusik.

Von einem Kollegen wurde das Beispiel Frankreich genannt. Mein Land, Österreich, hinkt nach wie vor hinterher. 1998 wurde die Möglichkeit für Frauen geschaffen, dem Österreichischen Bundesheer beizutreten. Heute gibt es dort noch nicht sehr viele Frauen, und erst seit 2014 haben wir eine Frau im Generalsrang. Es geht zwar langsam weiter, aber es gibt Fortschritte.

Wir haben in Österreich eine Bundesheer-Kommission implementiert, an die sich die Soldatinnen wenden können, sowie eine Gleichstellungsbeauftragte für alle Fragen, welche die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern betreffen. Überall dort, wo Frauen in der Karriere benachteiligt werden oder Opfer von sexuellen Übergriffen werden, kann dies entsprechend geahndet werden.

Die UN-Resolution 1325, die hier schon mehrmals erwähnt wurde, wurde nahezu überall implementiert, greift aber oft noch nicht wirklich, weil das Budget oft fehlt. Was nützt der beste Nationale Aktionsplan, wenn man nicht die budgetären Mittel hat, um ihn wirklich umzusetzen. Hier brauchen wir Finanzierung, damit Resolution 1325 wirklich zum Leben erweckt werden kann.

Es wäre mir ein großes Anliegen, dass in allen Bereichen darauf geachtet wird, dass Frauen ihren Stellenwert haben können. Auch bei den Streitkräften wäre das Ziel eine wirklich paritätische Teilhabe mit einem Frauenanteil von 50%. Frauen sollten auch bei Friedensverhandlungen am Verhandlungstisch sitzen - auch Krieg und Frieden müssen Sache auch der Frauen sein.

Wir wissen schon lange, dass Frauen für den Frieden zuständig sind und dass überall dort, wo Frauen sich einmischen, der Frieden länger hält. Dort, wo sie als Soldatinnen bei Friedensmissionen eingesetzt werden, finden Frauen oft eine große Akzeptanz in der Bevölkerung vor. Auch hier ist das Ziel Demokratie und Geschlechtergerechtigkeit.