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AS (2016) CR 23
Provisorische Ausgabe

SITZUNGSPERIODE 2016

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(3. Teil)

BERICHT

23. Sitzung

Mittwoch, 22. Juni 2016, 10.00 Uhr

Andrej HUNKO, Deutschland, UEL/GUE

(Dok. 14078, Dok. 14078 Addendum)

Vielen Dank, Herr Präsident!

Heute ist der 75. Jahrestag des Überfalls Deutschlands auf die Sowjetunion. Es war mit 27 Millionen Toten der schlimmste Vernichtungskrieg. Als Folge dieses Krieges wurde ja auch der Europarat gegründet. Daran möchte ich als Abgeordneter aus Deutschland erinnern.

Den beiden Berichterstatterinnen möchte ich ganz herzlich danken für diesen wichtigen, mutigen Bericht.

Darüber, was in den letzten Monaten, insbesondere seit der Wahl im Juni, in der Türkei geschehen ist, wurde bereits vieles gesagt. Der Friedensprozess wurde bereits im April letzten Jahres aufgekündigt. Danach kam es zu der furchtbaren Entwicklung, die hier sehr deutlich beschrieben ist.

Ich möchte auch daran erinnern, dass die Immunität vieler Abgeordneter aufgehoben wurde, auch von Abgeordneten der HDP, die hier unter uns sitzen. Es ist möglich, dass unsere Kolleginnen und Kollegen in der nächsten Sitzungswoche nicht mehr hier sein können, weil sie dann vielleicht im Gefängnis sind. Deshalb ist es wirklich sehr wichtig, dass diese Versammlung ein deutliches Zeichen setzt.

In den gegenwärtigen Diskussionen heißt es oft, man solle die Türkei jetzt nicht so stark kritisieren. Doch wir sind eine Parlamentarische Versammlung und haben damit die Aufgabe, Tatsachen beim Namen zu nennen. Wir sind nicht den diplomatischen Zwängen ausgesetzt, die auf Regierungen lasten.

An das Beispiel aus Deutschland wurde eben von Frau Durrieu erinnert: Das gesamte deutsche Parlament hat sehr deutlich reagiert, als Erdogan das Blut unserer Kollegen, der Abgeordneten türkischer Abstammung, in Frage stellte. Damit gab das deutsche Parlament, nicht die deutsche Regierung, ein klares Signal aus. Auch die Parlamentarische Versammlung des Europarats sollte hier eine deutliche Botschaft aussenden.

Die Türkei ist ein wunderbares Land mit einer unglaublich reichhaltigen Kultur, vielen Sprachen und einer wunderbaren Zivilgesellschaft, Journalisten, die mutig genug sind, um Dinge aufzudecken und dafür ins Gefängnis zu gehen, mutigen Abgeordneten und Bürgermeistern aus den kurdischen Gebieten, die jetzt ebenfalls verhaftet wurden. Wir sollten ein Signal aussenden, das diese Menschen ermutigt - ein Signal für eine plurale, demokratische Entwicklung dieses Landes - nicht gegen die Türkei, sondern für die Türkei.

Vielen Dank.

Frank SCHWABE, Deutschland, SOC

(Dok. 14078, Dok. 14078 Addendum)

Herr Präsident!

In der Tat, die Türkei ist ein wunderbares Land mit wunderbaren Menschen und sie leistet Hervorragendes im Umgang mit Flüchtlingen. Deswegen sage ich immer wieder, dass man bedenken muss, wie schwierig die Lage für die Türkei ist, wenn wir an ihrem Umgang mit Flüchtlingen Kritik üben. Doch darum geht es heute nicht.

Bei dem, was wir heute besprechen, ist heftige Kritik an der türkischen Regierung angebracht. Ich denke, man kann erkennen, dass es bei der türkischen Regierung oder richtiger, dem Präsidenten, der dazu bisher gar nicht legitimiert ist, einen Plan gibt, die Macht im Staat zu verfestigen. Ich glaube, die Mehrheit dieses Hauses sieht das auch so. Das gefährdet fundamentale Prinzipien, die das Gründungsmitglied Türkei durch seinen Beitritt zum Europarat eingegangen ist: Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit.

Das sind zentrale Herausforderungen für uns. Es ist unsere Aufgabe, uns dazu zu äußern und klar zu positionieren. Wir werden darüber nachdenken müssen, welche Mechanismen in Gang gesetzt werden müssen, um uns diesen Herausforderungen zu stellen.

Wir erleben in der Türkei die systematische Inhaftierung von Journalisten und Medienschaffenden, eine Okkupation kritischer Medien; gerade wurden Erol Önderoglu und zwei weitere Personen auf Grund völlig unhaltbarer Vorwürfe inhaftiert, dazu kommt die Situation rund um Can Dündar und andere.

Es gibt systematischen Druck auf Kolleginnen und Kollegen, die wie wir Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung des Europarats sind. Demonstrationsrechte, die Rechte von Frauen, LGBTI-Personen, Umweltaktivisten und anderen werden systematisch eingeschränkt und es gibt eine restriktive Gesetzgebung im Bereich der NGOs, die für viele andere Staaten leider auch ein Vorbild ist.

Ein Teil des Übels sind die sog. Antiterrorgesetze, die in der Türkei so weitgehend ausgelegt werden, dass man am Ende alles und jeden dafür verfolgen kann. Deswegen ist es wichtig, dass wir uns hier klar positionieren und einen Appell auch an die EU richten.

Es ist richtig und nachvollziehbar, Abkommen mit der Türkei zum Thema Flüchtlinge zu schließen. Auch habe ich es schon immer für richtig gehalten, für eine Visa-Liberalisierung zu sorgen. Doch gibt es dafür bestimmte grundlegende Kriterien, und eines davon ist die Abschaffung der türkischen Antiterrorgesetze in ihrer gegenwärtigen Form.

Es darf am Ende keinen Deal zu Lasten von Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Menschenrechten geben. Mein Eindruck, als jemand, der die Türkei wirklich sehr mag, ist, dass es höchste Zeit ist, klar Stellung zu beziehen.

Mechthild RAWERT, Deutschland, SOC

(Dok. 14078, Dok. 14078 Addendum)

Herr Vorsitzender!

Auch ich möchte mich als erstes sehr herzlich für diesen Bericht bedanken, der ja zentrale Themen des Europarates und vor allem Kernthemen jeder Demokratie aufgreift, nämlich die Wahrung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit.

Mehrmals wurde hier das Wort Terrorismus erwähnt. Selbstverständlich hat jedes Land die Pflicht und die Verantwortung, zwischen Freiheit und Sicherheit der Bürger abzuwägen. Wir alle wissen, dass Terrorismus mittlerweile nicht nur jeweils inländische, sondern auch ausländische Opfer fordert. Auch in der Türkei sind deutsche Staatsbürger Opfer von Terrorismus geworden. Deshalb muss der Terrorismus gemeinsam bekämpft werden. Doch darf der Kampf gegen den Terrorismus nicht für andere Zwecke missbraucht werden. Auch das ist ein gemeinsamer Kampf.

Zu den Menschenrechten möchte ich auf einzelne Aspekte eingehen, die mir derzeit sehr am Herzen liegen. Zu Recht wurde der Kampf gegen die häusliche Gewalt erwähnt, der in der Türkei nicht stattfindet. Derzeit nimmt die Zahl der Morde an Frauen zu, insbesondere, wenn sie sich scheiden lassen wollen, ebenso wie die Zahl der Zwangsehen. Frauen werden die sexuellen Rechte und damit die sexuelle Gesundheit aberkannt. Patriarchale Strukturen machen die Chancengleichheit für Frauen unmöglich. Diese Woche fand erneut die Transpride Week statt, wurde jedoch vom Gouverneur von Istanbul verboten. Die Polizei ging mit Wasserwerfern und Schlagstöcken auf Transgender-Personen und die LGBTI-Community los.

Auch mache ich mir Sorgen über die Strafverfolgung investigativer Journalisten und um die türkischen Abgeordneten, denen die Immunität aberkannt wurde. Was passiert dann mit ihnen? Dass sie uns dann nicht mehr als Kollegen begleiten dürfen, obwohl sie gewählte Parlamentarier sind, ist vielleicht noch das Mindeste, was ihnen zustößt.

All das darf nicht sein. Es ist ausdrücklich gegen die Erklärung der Menschenrechte, die die Türkei ja schließlich auch unterzeichnet hat.

Die Türkei ist ein Vielvölkerstaat. Es gibt Türkei-stämmige und türkischstämmige Menschen. Das ist nicht dasselbe. Lassen Sie uns alle gemeinsam der neuen Initiative „No Hate, No Fear“ folgen. In diesem Sinne, seien wir mutig!

Alfred HEER, Schweiz, ALDE / ADLE

(Dok. 14078, Dok. 14078 Addendum)

Geschätzter Herr Vorsitzender!

Geschätzte Damen und Herren!

Auch ich möchte mich für den Bericht bedanken.

Die Situation in der Türkei ist schwierig und wir dürfen nicht vergessen, dass die Türkei die Brücke zwischen Europa und Asien ist. Umgeben von Ländern, die schwierige Probleme haben, ist die Türkei mit großen Flüchtlingsströmen konfrontiert und auch Ziel von terroristischen Anschlägen.

Leider müssen wir feststellen, dass ein Anschlag in der Türkei in den westlichen Medien nicht den gleichen Widerhall findet, wie wenn etwas in Brüssel oder Paris passiert, obwohl wir Menschen doch eigentlich alle gleich und die Opfer von solchen terroristischen Anschlägen zu bedauern sind, egal in welchem Land dies passiert.

Es liegt sicherlich nicht an uns, der Türkei gute Ratschläge zu geben, aber ich möchte doch meinen Kolleginnen und Kollegen von der türkischen Delegation vielleicht einen Tipp geben bzw. sie freundlich dazu auffordern, einen Dialog in der Türkei zu führen. Ein Dialog ist natürlich nur dann möglich, wenn auch Pressefreiheit gewährleistet ist.

Ich habe Verständnis dafür, dass man den Terrorismus bekämpfen will und in diesem Sinn gewisse Gesetze verschärft, um die Sicherheit zu gewährleisten. Dies sollte aber weder dazu führen, dass die Demokratie und das Recht auf freie Meinungsäußerung eingeschränkt werden, noch dazu, dass die Justiz behindert wird, wie wir das in der Vergangenheit gesehen haben.

Ich denke, dass es immer besser ist, den Dialog zu führen und zu sehen, wie man Verbesserungen herbeiführen kann, auch in der Türkei. Ähnlich wie in der Schweiz gibt es in der Türkei Minderheiten. Es ist wichtig, dass diese Minderheiten miteinander sprechen und versuchen, durch Dialog bessere Lösungen zu erzielen.

Es liegt nicht am Europarat, Vorwürfe in dieser Art zu erheben, wie es hier gemacht wird. Wir dürfen nicht vergessen, dass man sich bei dem Flüchtlingsvertrag, den die EU mit Erdogan abgeschlossen hat, nicht allzu sehr um die Menschenrechte der Flüchtlinge gekümmert hat, insbesondere, was die Rückführung der syrischen Flüchtlinge in die Türkei betrifft. Hier hat sich der Europarat auch eine gewisse Heuchelei vorzuwerfen.

Besten Dank.

Rainer GOPP, Liechtenstein, ALDE / ADLE

(Fragen an Taavi RÕIVAS, Ministerpräsident der Republik Estland)

Herr Ministerpräsident, ich möchte die Situation mit Russland nochmals aufnehmen. Hier in der Parlamentarischen Versammlung verweigert die russische Delegation durch ihr Fernbleiben jeglichen Dialog. Ich persönlich bedaure das. Auch die baltischen Staaten stehen aktuell in einem Spannungsverhältnis zu Russland. Wie schätzen Sie die Situation für sich als Nachbarn ein und gibt es gerade während Ihrer Präsidentschaft neue Initiativen für einen Dialog, auch für die Versammlung?