AL17CR13

AS (2017) CR 13
Provisorische Ausgabe

SITZUNGSPERIODE 2017

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(2. Teil)

BERICHT

13. Sitzung

Dienstag, 25. April 2017, 15.30 Uhr

 

Ute FINCKH-KRÄMER, Deutschland, SOC
(Fragen an Thorbjørn JAGLAND, Generalsekretär des Europarats)

Herzlichen Dank Herr Präsident!

Was kann der Europarat und was sollte die parlamentarische Versammlung des Europarates tun, um jeden Verdacht von Bestechlichkeit oder Vorteilsnahme bei den Beschäftigten des Europarates und den Delegierten der parlamentarischen Versammlung in Zukunft auszuschließen?

Eduard KÖCK, Österreich, PPE/DC / EPP/CD
(Fragen an Thorbjørn JAGLAND, Generalsekretär des Europarats)

Sehr geehrter Generalsekretär!

Die Schlepperei ist eine sehr schlechte Sache, aber derzeit das beste Geschäft in der Welt. Im Mittelmeer sterben jeden Tag viele Menschen. Wie steht der Europarat dazu, welche Strategie hat er, um dagegen vorzugehen und wie sehen Sie die Meldungen, dass NGOs mit den Schleppern zusammenarbeiten?

Frank SCHWABE, Deutschland, SOC
(Dok. 14289, Dok. 14292)

Herr Präsident,

liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich glaube, wir kommen nicht umhin zu konstatieren, dass wir in einer tiefen Krise der parlamentarischen Versammlung sind, personifiziert durch die gestrige Debatte und die Vorkommnisse von heute durch den Präsidenten.

Ohne Schärfe in die Debatte bringen zu wollen, erlaube ich mir zu sagen, dass ich mir unmöglich vorstellen kann, dass diese aktuelle Krise mit dem Präsidenten Agramunt gelöst wird und ich glaube, es ist richtig, wenn er die Konsequenzen trägt.

Wir sind diejenigen, die für 47 Mitgliedsstaaten und 820 Millionen Menschen zuständig sind. Wir wählen die Richter am Menschenrechtsgerichtshof und wir vertreten die zentralen und höchsten europäischen und auch weltweiten Werte: Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit.

Es ist sowohl ein Privileg als auch eine Verpflichtung, die wir hier haben, wenn wir hier sitzen und wir müssen höchste Ansprüche an uns selbst stellen.

Überhaupt nicht damit verantwortbar ist meines Erachtens der Eindruck, dass es Netzwerke gibt, die hier gelegentlich gebildet werden, um am Ende Staaten davor zu schützen, für Menschenrechtsverletzungen benannt zu werden.

Wir sind für die Menschen da, 820 Millionen Menschen, die uns vertrauen. Wir sind nicht da, um Regierungen davor zu schützen, möglicherweise in ein schlechtes Licht gerückt zu werden, weil sie diese Menschenrechte missachten.

Die Vorwürfe der Korruption vertiefen die existenzielle Krise unserer Institution und wären dann tödlich, wenn wir nicht in der Lage wären, eine vernünftige Aufklärung zu betreiben, ganz gleich, was dabei herauskommt.

Deswegen sind die Antworten dieser Woche und das, was wir gleich beschließen von ganz elementarer Bedeutung.

Für die sozialistische Fraktion ist es auch von elementarer Bedeutung, dass wir eine unabhängige externe Untersuchung haben, da nicht genug Vertrauen für eine interne Lösung vorhanden ist. Wir brauchen drei Personen, die über jeden Zweifel erhaben sind und für ein großes Maß an Integrität stehen.

Wir brauchen eine direkte Berichterstattung an diese Versammlung, deshalb habe ich den Vorschlag einer Unterkommission bzw. eines Unterausschusses wirklich nicht verstanden; das müsste erläutert werden. Ich glaube, es ist zentral wichtig, dass direkt an diese Versammlung entsprechend berichtet wird. Wir brauchen die Notwendigkeit, dass alle Mitglieder der Versammlung entsprechend kooperieren müssen und wir brauchen den Schutz von Whistleblowern, wenn wir wirklich zu einer effizienten Untersuchung kommen wollen.

In dieser schwierigen Lage, in der wir vielleicht die richtigen Antworten als Einstieg in eine Debatte geben können, um Integrität zurückzugewinnen, ist es in der Tat verheerend, wenn wir über Besuche des Präsidenten und anderer Mitglieder der Versammlung in Syrien zu diskutieren haben. Es ist am Ende nur eine Spitze des Eisbergs.

Der Präsident hat leider auch nicht von Anfang an dazu beigetragen, dass die Korruptionsvorwürfe gut aufgearbeitet werden. Ganz im Gegenteil, es gab zunächst erst einmal Vorwürfe gegenüber NGOs und derjenigen, die Aufklärung anmahnen.

Daher sollten wir die Kraft haben, nach vorn zu schauen – allerdings hoffe ich, mit einem anderen Präsidenten.

Frank SCHWABE, Deutschland, SOC
(Dok. 14083, Berichterstatter)

Vielen Dank Herr Präsident,

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich bin in der Tat nicht Micheal McNamara sondern Frank Schwabe, weil Micheal McNamara hier nicht mehr dabei ist. Er hat sich sehr verdient gemacht um den Bericht und es war ihm wichtig, dass wir zu diesem Thema, über das eigentlich viel zu wenig gesprochen wird und wir viel zu wenig erfahren, zu einem Bericht kommen. Er hat mich gebeten, das zu übernehmen und der Rechtsausschuss hat das am Ende auch beschlossen.

Ich möchte Micheal McNamara ausdrücklich noch einmal gratulieren und Tribut zollen für die Arbeit zusammen mit der Verwaltung hier mit dem Ausschuss, an diesem sehr schwierigen und komplizierten Thema.

Wenn man sich ein wenig in die Menschenrechtslage im Nordkaukasus, insbesondere in Tschetschenien einarbeitet, dann ist es wirklich katastrophal und man glaubt nicht, dass man sich im Bereich des Europarats befindet, wenn man liest und hört, was dort eigentlich passiert. Diese Art von Vorkommnissen stellt man sich an den hintersten Ecken der Welt vor, aber nicht im Geltungsbereich des Europarats.

Bei dem Bericht, den wir heute zu verabschieden haben, handelt es sich um das „follow-up" des letzten Berichts der parlamentarischen Versammlung über die Lage in dieser Region, der aus der Feder unseres früheren hervorragenden Schweizer Kollegen Dick Marty stammt. Ich möchte daran erinnern, dass der „Marty-Bericht" im Juni 2010 im Plenum dieser parlamentarischen Versammlung einstimmig verabschiedet wurde, d. h. auch die russische Delegation hat, trotz einiger Enthaltungen, das überaus deutliche Signal an Ramsan Kadyrow, den Alleinherrscher über Tschetschenien, mitgetragen. Manchmal kommen aus Moskau Signale der Mäßigung in Richtung Tschetschenien und manchmal geht es wieder in die andere Richtung.

Deswegen bedaure ich umso mehr, dass unsere russischen Kolleginnen und Kollegen heute nicht mit dabei sind und mit uns darüber diskutieren, warum dieses Signal offenbar nicht gehört – oder besser gesagt nicht beachtet wurde und darüber, was wir konkret tun können, um das zu ändern und dafür zu sorgen, dass die Menschenrechtssituation vor Ort verbessert wird.

Ich betone nochmals, dass wir über Russland reden. Wenn man Nordkaukasus hört und sich nicht so gut im Bereich des Europarats auskennt, könnte man denken, das liegt irgendwo, aber dem ist nicht so: Es ist Teil, russischen Staatsgebiets und deswegen ist Russland das Land, an das wir uns entsprechend wenden: Russland hat dafür zu sorgen, dass dort die Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit geachtet werden.

Wie unser Bericht im Detail darlegt, hat sich insbesondere an dem schon 2010 festgestellten Klima der Straflosigkeit für schwere Menschenrechtsverletzungen nichts geändert; es ist im Gegenteil im Zweifelsfall eher schlimmer geworden.

Von den zahlreichen unaufgeklärten Mord-, Verschwindens- und Folterfällen, die wir vor sieben Jahren aufgegriffen haben, sind weiterhin so gut wie keine aufgeklärt worden. Das bedeutet auch, dass hunderte von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – wir müssen das im Bericht aktualisieren, ich glaube es sind derzeit 247 –, in denen das Unterlassen ernsthafter Ermittlungen gerichtsförmlich festgestellt wurde, weiterhin nicht umgesetzt werden.

Wir sollten das Ministerkomitee dafür loben, dass es weiterhin auf die Umsetzung dieser Urteile durch Nachholung der bisher unterbliebenen Ermittlungen drängt.

Wenn die russischen Behörden aber als Antwort darauf weiterhin elementare Schritte verweigern, wie etwa die Einrichtung eines forensischen DNA-Labors in Tschetschenien, und mit vielen Tricks nur auf Verjährung spielen, dann müssen auch Konsequenzen gezogen werden. Die Menschenrechtskonvention sieht hierfür mehrere Möglichkeiten vor, darunter unter anderem auch die zwischenstaatliche Klage nach Artikel 33, die ausdrücklich gleich zur Annahme als Empfehlung für das Ministerkomitee empfohlen wird.

Der Ihnen vorliegende Bericht ist nun beinahe ein Jahr alt. Aus vielen Gründen hat es so lange gedauert, bis er einen Platz auf der Tagesordnung dieses Plenums gefunden hat. Dazu hat vielleicht auch die Anhörung im Januar dieses Jahres von führenden Vertretern der Zivilgesellschaft beigetragen.

Die Vertreter von Human Rights Watch, des norwegischen Helsinki-Komitees und des Menschenrechts-zentrums „Memorial" haben dem Rechtsausschuss eindringlich vor Augen geführt, wie schlimm die Lage für die Menschen vor Ort weiterhin ist. Daraufhin hat der Ausschuss beschlossen, im Präsidium eindringlich darauf hinzuwirken, dass der Bericht nun endlich im Plenum diskutiert und verabschiedet wird.

Aus Verfahrensgründen durfte der Ausschuss keine neue, aktualisierte Fassung des Berichts vorlegen. Damit der Text dennoch möglichst aktuell wird, haben wir viele Änderungswünsche gerade von führenden internationalen Menschenrechtsorganisationen aufgegriffen. Deswegen gibt es eine ganze Reihe von Abänderungsanträgen, die heute eingereicht werden, die wir aber gleich alle in einem vereinfachten Verfahren verabschieden können, weil der Ausschuss bei den meisten Anträgen einstimmige Zustimmung empfohlen hat.

An Ideen aus der Zivilgesellschaft hat uns eine beeindruckende Zahl von „friendly amendments" erreicht, die wir zum großen Teil auch unterstützen können. Darin geht es vor allem darum, neue Entwicklungen zu berücksichtigen, die nach der Annahme des Berichts im Ausschuss mittlerweile eingetreten sind.

Besonders prominent – wie vorher auch schon von Generalsekretär Jagland erwähnt – sind natürlich die zahlreichen glaubwürdigen Berichte aus den letzten Wochen über die Verfolgung von LGBTI-Personen in Tschetschenien.

Fast noch schlimmer als die dramatischen Berichte über die Tötungen, Misshandlungen und willkürlichen Verhaftungen sind die offiziellen Dementis des Sprechers von Kadyrow bzw. seines Menschenrechts-beauftragten. Sinngemäß seien danach die Berichte über die Verfolgung von Homosexuellen schon deshalb unglaubwürdig – und man stelle sich diesen Zynismus vor – weil es solche Menschen in Tschetschenien gar nicht geben könne, wofür deren Familien und die tschetschenische Gesellschaft auch ohne Mitwirkung der Behörden auf ihre Weise sorgen würden.

Solche brutalen Verfolgungen gegen ohnehin exponierte Minderheiten und solche zynischen Reaktionen von öffentlichen Amtsträgern sind in einem Mitgliedsland des Europarates absolut inakzeptabel.

Inakzeptabel ist auch die Nichtumsetzung von hunderten von Urteilen des Menschenrechtsgerichtshofes, in denen der Staat für zahlreiche Mord-, Verschwindens- und Folterfälle verantwortlich gemacht wird.

Inakzeptabel ist auch, dass elementare Grundsätze des russischen Rechts, etwa zur Gleichberechtigung von Mann und Frau auch im Familienrecht, zum Verbot von Kinder- und Zwangsehen, zur Meinungs- und Versammlungsfreiheit in diesen Landesteilen mit Füssen getreten werden, ohne dass der russische Zentralstaat ernsthaft etwas dagegen unternehmen würde.

Das ist eines der wichtigsten Signale, das wir von hier aus nach Moskau senden sollten: Sorgt dafür, dass auch im Nordkaukasus russisches Recht angewendet wird, ohne Diskriminierung, ohne augenzwinkerndes Wegschauen, wenn Verstöße offenbar auf das Konto der lokalen Machthaber gehen. Nur dann kann sich auch wieder das Vertrauen einstellen, das erforderlich ist, um Terrorismus und Extremismus erfolgreich zu bekämpfen.

Die Nordkaukasusregion, und insbesondere Tschetschenien, ist unfreiwilligerweise zu einem Versuchslabor geworden: man hat dort über viele Jahre „brutalstmöglich" den Terrorismus bekämpft, mit allen Mitteln, einschließlich Mord, Folter und Verschwindenlassen in unerhörter Zahl – über 5000 Verschwundene in wenigen Jahren in einer Region von der Größe und Bevölkerungszahl Luxemburgs.

Herausgekommen ist dabei noch nicht einmal eine wirkliche „Friedhofsruhe“; es gibt weiterhin zahlreiche Anschläge mit vielen Opfern unter Sicherheitskräften wie Zivilisten. Es wird in den Medien nur nicht mehr darüber berichtet, nicht zuletzt wegen der Einschüchterung von Journalisten, auch das wird in unserem Bericht angesprochen.

Ein gewisser Rückgang der Opferzahlen in den letzten Jahren kann auch trügerisch sein: Viele besonders stark radikalisierte Kämpfer aus der Region sind nach Syrien oder den Iran gegangen; viele werden demnächst zurückkehren.

Schon im Bericht von Dick Marty aus dem Jahr 2010 wird hervorgehoben, dass Terrorismus nur mit Hilfe der lokalen Bevölkerung und nicht gegen sie erfolgreich bekämpft werden kann. Die Zeit hat Herrn Marty Recht gegeben. Wir sollten diese Lektion auch selbst beherzigen, wenn wir in unseren Mitglieds- und unseren Heimatländern darüber entscheiden, mit welchen Mitteln wir gegen Terrorismus vorgehen wollen. Der Nordkaukasus zeigt, dass Brachialmethoden vor allem eines bewirken: den Terroristen neue Rekruten zuzuführen.

Lassen Sie uns den Bericht von Micheal McNamara in diesem Sinne mit der ihm gebührenden deutlichen Mehrheit verabschieden. Lassen Sie uns die Änderungsanträge einvernehmlich verabschieden und derart dafür sorgen, dass wir in den nächsten Jahren Licht auf die dramatische Situation vor Ort werfen können.

Wir sind eine der wenigen Institutionen, die überhaupt versucht, Licht auf diese dramatische Situation zu richten und die Menschen haben eigentlich fast nur den Europarat, dem sie vertrauen und mit dem sie überlegen können, wie sie entsprechend Hilfe bekommen.

Insofern hilft die Verabschiedung eines solchen Berichts mit einer großen Mehrheit.

Vielen Dank.

Ria OOMEN-RUIJTEN, Sitzungsvorsitzende

Vielen Dank Herr Schwabe!

Sie haben noch vier Minuten, die übrig geblieben sind.

Ute FINCKH-KRÄMER, Deutschland, SOC
(Dok. 14083)

Vielen Dank!

Ich möchte auf etwas hinweisen, was für viele Regionen gilt, wo es Menschrechtsverletzungen gibt.

In Tschetschenien rühren die schweren Menschenrechtsverletzungen daher, dass direkt nach dem Zerfall der Sowjetunion einerseits manche Menschen in Tschetschenien glaubten, durch Gewalt ihre Unabhängigkeit von Russland durchsetzen zu können und andererseits die russische Regierung damals mit militärischer Gewalt reagierte bzw. sich anschließend die gegenseitige Gewalt hochgeschaukelt hat.

Für mich ist Tschetschenien in Europa ein Beispiel dafür, dass Gewalt und Gegengewalt in einem Zyklus münden, in dem alle Menschenrechte und insbesondere auch die Rechte der Frauen und der Minderheiten gravierend verletzt werden.

Ich bin froh, dass wir diese Diskussion hier führen und dass eine Gruppe von Nichtregierungsorganisationen, angefangen mit Amnesty International bis hin zu der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial, dies bemerkt hat. Sie gaben uns einige der Hinweise, die in die Änderungsanträge einflossen und zur Aktualisierung des Berichtes geführt haben.

Denn wir sollten nie vergessen, dass es auch in Russland Menschenrechtsorganisationen und Zeitungen wie die eben schon erwähnte gibt sowie mutige Journalisten, die sich für Menschenrechte engagieren und Unrecht aufzeigen. Die stehen in ganz anderer Weise unter Druck als die Journalistinnen und Journalisten in den meisten anderen Ländern des Europarates.

Ich halte es für wichtig, dass wir hier in unserer Debatte auch an diese Verbündeten denken, denn Russland ist ein großes Land mit einer Regierung, die in ihrer Auseinandersetzung mit Unabhängigkeitsbewegungen im Nordkaukasus zu mehr als zweifelhaften Mitteln gegriffen hat. Anschließend ist sie sehr unklug mit den daraus resultierenden Terroranschlägen umgegangen. Russland hat auch eine Zivilgesellschaft, der wir uns nach wie vor verbunden fühlen und die im besten Sinne europäisch ist.

Danke schön.

KÖCK Eduard, Österreich, PPE/DC / EPP/CD
(Dok. 14083)

Sehr geehrte Frau Vorsitzende,

sehr geehrter Berichterstatter!

Dieser Bericht ist sehr wichtig, damit die Situation nicht vergessen wird. Er ist gut gemacht und die Änderungsvorschläge sind sicherlich sehr gut, um diesen Bericht noch besser zu machen.

Die Situation ist für viele von uns unvorstellbar. Wir können uns wahrscheinlich nicht vorstellen, wie es ist, dort zu leben. Wir konnten gestern den Ausführungen von Igor Kotschetkow, dem Direktor von LGBT St. Petersburg zuhören, wie man mit sexuell anders orientierten Menschen umgegangen ist und dort immer noch umgeht. Unser Außenminister, Sebastian Kurz, hat dies auch schon öffentlich verurteilt.

Wir haben auch gehört, dass die Rechte nicht beachtet werden und dass es sehr viele Übergriffe gibt, die politisch motiviert sind. Es gab in der Vergangenheit immer wieder Konflikte und Kriege in dieser Region, daher gibt es Generationen, die Frieden eigentlich gar nicht kennen.

Diese Auswirkungen spüren wir in Europa und gerade auch wir in Österreich. Wir haben 30 000 Asylsuchende Tschetschenen in Österreich – das ist die höchste Zahl in ganz Europa – und 3000 davon werden im Jahr straffällig.

Daran sieht man das hohe Gewaltpotenzial; es passieren sehr viele Vergewaltigungen von Tschetschenen und vor ein paar Wochen erst wurden 22 Tschetschenen mit automatischen Feuerwaffen festgenommen. Es gibt sehr viele Gruppenbildungen, Organisationen, die sich gegenseitig bekämpfen. Ich habe in einem Demokratieprojekt unseres Parlaments zwei 14-Jährige kennen gelernt, die beide auch schon straffällig geworden sind.

Das Bewusstsein für unseren Rechtsstaat und unsere Rechte ist bei diesen Menschen sehr niedrig. Sie sind zum Teil traumatisiert und es ist sehr schwierig, sie bei uns zu integrieren.

Deshalb ist es so wichtig, dort vor Ort eine Veränderung herbeizuführen und diese Situation nicht so weitergehen zu lassen, wie sie derzeit dort ist.

Alles, was in diesem Bericht aufgezeigt wird, ist gut, sofern es umgesetzt wird und wir müssen alles versuchen, damit so viel wie möglich umgesetzt wird. Leider ist Russland heute nicht hier und sie können uns nicht hören, aber als sie noch hier waren, haben sie offensichtlich auch nicht wirklich daran mitgearbeitet, dass sich die Situation dort verbessert.

Deshalb müssen wir vielleicht auch andere internationale Organisationen hier seitens des Europarates einspannen, um zu Verbesserungen mit den Russen zu kommen, damit sie dort die Rechte und die Beschlüsse des Gerichtshofes umsetzen und dort eine Verbesserung herbeiführen.

Danke.

Frank SCHWABE, Deutschland, SOC
(Dok. 14083, Antwort des Berichterstatters)

Ich möchte mich für den zahlreichen Dank bedanken und werde diesen an die beiden Berichterstatter Michael McNamara, der die Hauptarbeit geleistet hat, sowie an Dick Marty weitergeben. Ihre Namen sind mit diesem Thema verbunden und sie wurden durch eine wunderbare Organisation, insbesondere auch hier in der Versammlung unterstützt.

Ich möchte mich für die vielen einhelligen, offenen und klaren Worte von allen bedanken.

Denn wir sollten uns nicht aufteilen und die Gegner kritisieren und die Freunde in Schutz nehmen. Es ist viel hilfreicher, wenn Kritik von denjenigen kommt, dir wir gelegentlich als Verbündete wahrnehmen. Beispielsweise würde man von den vereinigten Linken keine kritischen Worte gegenüber Russland erwarten, aber genau da sind sie umso wichtiger.

Ich habe ihren Ruf gehört einen gemeinsamen Besuch zu organisieren und wir sollten dafür sorgen, dass dieser Ruf bis nach Russland hallt.

Wir sind uns natürlich über die schreckliche Situation einig und gleichsam pessimistisch im Hinblick auf mögliche Verbesserungen. Aber so viel Pessimismus können wir uns nicht leisten, denn es hängt von uns ab, unsere Stimme zu erheben. Ich weiß zwar nicht, was verändert oder verbessert werden kann, aber Bedingung für Veränderungen ist, dass wir hier darüber sprechen und am Ende auch der Zivilgesellschaft eine Stimme geben, denn sie hört genau auf das, was wir hier diskutieren und verabschieden.

Eine Grundbedingung ist die Achtung der Urteile des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes. Dies ist ein Aufruf an alle Länder, denn je mehr Länder die Urteile achten und umsetzen, umso mehr können wir von Russland die Umsetzung der Urteile im Nordkaukasus einfordern.

Hoffnung besteht manchmal nur darin, dass Menschenrechtsverletzungen nicht ungesühnt bleiben. Daher nimmt das Natalia-Estemirova-Zentrum eine zentrale Rolle ein, die über diesen Konflikt hinaus Bedeutung für viele andere Konflikte hat.

Dieser Tage konnte ich mich mit dem Leiter des Stasi-Unterlagenzentrums in Berlin unterhalten, der von diesem Zentrum eine hohe Meinung hat. Es gibt entsprechende Vernetzungen und es werden Standards für andere Bereiche auf der Welt gesetzt, dass Verbrechen zumindest nicht ungesühnt bleiben, sondern die Gelegenheit besteht, diese am Ende aufzuarbeiten.

Dass die Kritik nicht komplett unerhört verhallt, sieht man an der Debatte um das Thema LGBTI und die Gewaltexzesse, die es dort in den letzten Wochen, Monaten und Jahren gegeben hat.

Es ist durchaus so, dass es eine – wenn auch zynische – Reaktion der tschetschenischen Behörden und auch aus Moskau gab. Dort wurde anlässlich eines Treffens von Präsident Putin mit Kadyrow durch Putins Sprecher deutlich gemacht, dass Kadyrow versichert hätte, alles wäre in Ordnung und man würde den Präsidenten Russlands nicht anlügen.

So habe ich dies verstanden. Es zeigt aber, dass die breite Welle der Kritik wahrgenommen wird und deshalb sollten wir uns ermuntert fühlen, dort weiterzumachen, auch wenn im jetzigen Bericht kein Follow-up vorgesehen ist.

Wir sollten nachdenken, wie wir unserer Verantwortung als Institution nachkommen können und auch nach Verabschiedung des Berichtes in den kommenden Jahren unser Augenmerk auf diese schwierige Situation lenken.

Ich danke Ihnen ganz herzlich für die Debatte und für die sich hier abzeichnende breite Zustimmung.

Ria OOMEN-RUIJTEN, Sitzungsvorsitzende

Danke schön, Mister Schwabe!

Frank SCHWABE, Deutschland, SOC
(Dok. 14083, Amendement 11)

Frau Präsidentin!

Wir haben dieses Amendement vorgeschlagen, weil wir gern den reconciliation-Prozess unterstützen würden, den es dort vor Ort gibt. Wir haben uns dann darauf geeinigt, dass wir das nicht auf die salafistische Gemeinschaft beschränken sondern auf alle, die sich an diesem Prozess beteiligen.

Andrej HUNKO, Deutschland, GUE / UEL
(Dok. 14287, Berichterstatter)

Frau Präsidentin,

liebe Kolleginnen und Kollegen!

Das Thema der Ungleichheit ist in den letzten Monaten und Jahren ein großes Thema geworden.

Sie kennen alle die Zahlen einer Studie der NGO Oxfam zum Beispiel, gemäß welcher acht Männer weltweit so viel besitzen, wie die ärmere Weltbevölkerung. Es gibt Diskussionen zur Methode der Studie, darüber will ich nicht streiten.

Laut aktuellen Studien ist das Ausmaß von Ungleichheit auf Weltebene aber auch in Europa und innerhalb der meisten unserer Länder in den letzten Jahren massiv angestiegen. Der Bericht konzentriert sich vor allem auf die Einkommensungleichheit als einen zentralen Punkt der Ungleichheit.

Hier möchte ich ein paar Zahlen aus meinem eigenen Land, Deutschland, vorstellen, das hinsichtlich sozialer und wirtschaftlicher Entwicklung oft als Vorbild gesehen wird. Eine zwischen 1991 und 2014 durchgeführte Studie zeigt, dass das Bruttoinlandsprodukt um 22 % und die höheren Einkommen um 27 % gestiegen sind, während 40 % der unteren Einkommen nicht besser und die untersten Einkommen sogar schlechter als 1991 dastehen.

Diese Entwicklung können wir in vielen Ländern beobachten. Einer der im Bericht auch angesprochenen Hauptgründe dafür ist der Arbeitsmarkt, der grassierende Niedriglohnsektor und prekäre Arbeit. Der Autor der Studie sagt ebenfalls, dass immer mehr Erwerbstätige in Deutschland aber auch innerhalb der Europäischen Union mittlerweile armutsgefährdet sind.

Es ist nicht einfach, gute Zahlen zur Ungleichheit zu erhalten. Es gibt einige Studien über die Europäische Union und über Mitgliedsländer der Europäischen Union, aber nur sehr wenig Zahlen. In der kurzen Zeit war es nicht möglich, umfassende Studien zu Osteuropa und Russland zu erstellen. Das sollte man im Hinterkopf haben. Ich vermute aber, dass die Entwicklung in diesen Ländern sehr ähnlich ist.

Im Hinblick auf die Ungleichheit und dazu, wie sie aufgefasst wird, stelle ich fest, dass in der OECD aber auch beim IWF in den letzten 20 - 25 Jahren die Vorstellung vorherrschte, dass ein gewisses Maß an Ungleichheit wünschenswert ist, um die Wirtschaft zu entwickeln und Menschen zu motivieren sich mehr anzustrengen. Gerade in den eben genannten Organisationen hat sich diese Vorstellung in den letzten Jahren verändert und es kam zu einer Art Paradigmenwechsel. Mittlerweile gilt die Vorstellung, dass das von der Ungleichheit angenommene Ausmaß ein wirtschaftliches Problem ist, da es zu wirtschaftlichen Instabilitäten und mangelnder Nachfrage in den einzelnen Ländern kommt.

Ich habe eine Reihe von Vorschlägen gemacht, wie man das Problem angehen könnte. Das Wichtigste ist, dass wir das Thema der Einkommensungleichheit ganz oben auf die Agenda setzen und es zu einem gesellschaftlichen und politischen Thema in den einzelnen Parlamenten wird, denn die Situation ist durchaus dramatisch.

Zu den wichtigen Punkten gehören der Arbeitsmarkt und die Lohnpolitik. Hier benötigt man eine Neuausrichtung hinsichtlich der Bekämpfung des Niedriglohnsektors, prekärer Jobs, Leiharbeit u. ä.

Wir benötigen Mindestlöhne, damit Vollzeitarbeiter von ihrer Arbeit leben können. In der Europäischen Union haben wir heute allein etwa 7 Millionen Menschen, die Vollzeit arbeiten und am Ende nicht von ihrer Arbeit leben können und armutsgefährdet sind.

Wir brauchen nach wie vor Maßnahmen zur Bekämpfung des „Gender Gaps“ – der Ungleichheit zwischen der Bezahlung von Frauen- und Männerarbeit. Gleichwertige Arbeit muss hier berücksichtigt werden.

Ein weiterer wichtiger Punkt, über den man in letzter Zeit verstärkt diskutiert, ist eine Grenze für die Spitzengehälter von Managern bzw. die Unterschiede zwischen den höchsten und den niedrigsten Gehältern in Unternehmen. Diese sind in manchen Unternehmen in einem Ausmaß auseinandergedriftet, dass Gehälter hundert- oder sogar tausendfach höher sind und in keinem Verhältnis zur Leistung stehen. Das muss begrenzt und in den einzelnen Ländern rechtlich verankert werden.

Ein weiteres, hier schon oft erwähntes Thema ist die Steuerflucht und die Steuerparadiese. Diesbezüglich wird hier eine Reihe von Maßnahmen vorgeschlagen.

Zum Schluss möchte ich sagen, dass es nicht nur um Gerechtigkeit und um wirtschaftliche Stabilität, sondern auch um die gesellschaftlichen Auswirkungen von Ungleichheit geht, denn ich bin der Meinung, dass wachsende Ungleichheit zu Problemen für die Demokratie führt.

Ärmere Menschen gehen seltener wählen bzw. wählen rechtsextreme Parteien; der Aufstieg des Rechtspopulismus ist meines Erachtens damit verbunden. Dies hat auch große Auswirkungen auf die gesellschaftliche Stabilität und die soziale Kohäsion.

Daher ist es sehr wichtig, dass wir uns damit beschäftigen und dass wir ein klares Signal an die europäischen Regierungen aussenden, sich dieses Themas anzunehmen.

Vielen Dank.

Andrej HUNKO, Deutschland, GUE / UEL
(Dok. 14287, Antwort 1 des Berichterstatters)

Vielleicht noch einmal ganz kurze Anmerkungen. Vielen Dank für die Bemerkungen. Ich will kurz auf die kritischen Bemerkungen eingehen.

Frau Günay hat darauf hingewiesen, dass der Europarat nicht erwähnt ist. Es wird aber stark auf die Europäische Sozialcharta, eine der wichtigen Konvention des Europarats, Bezug genommen.

Zu den Äußerungen von Herrn Van de Ven: Ich denke, wir haben eine Situation, in der die Armen ärmer und die Reichen reicher werden. Die Gesellschaft kommt an einen Punkt – das müssen auch liberale Regierungen vergegenwärtigen –, an dem die gesamte gesellschaftliche Stabilität infrage gestellt wird. Ich glaube schon, dass es dann sinnvoll ist, mit Maßnahmen gegenzusteuern und es nicht alles laufen zu lassen und etwa ein progressives Steuersystem als kleptomanisch darzustellen.

Andrej HUNKO, Deutschland, GUE / UEL
(Dok. 14287, Antwort 2 des Berichterstatters)

Vielen Dank an alle Beiträge!

Ich glaube, die Debatte hat gezeigt, wie wichtig das Thema ist und dass wir an einem Punkt angelangt sind, wo ein Paradigmenwechsel stattfindet.

Herr Don Davies hat im letzten Beitrag darauf hingewiesen, dass es nach dem Zweiten Weltkrieg eine Zeit gab, in der eine andere Ideologie vorherrschte und in der die Gesellschaft ein sehr starkes Verständnis für soziale Maßnahmen hatte, um Ungerechtigkeiten zu bekämpfen. Dies ist auch die Grundlage vieler europäischen Verfassungen aus dieser Zeit sowie der Europäischen Sozialcharta.

Vor allem ab der Mitte der achtziger sowie in den neunziger und zweitausender Jahren herrschte die Vorstellung vor, dass Ungleichheit kein Problem sondern ein Vorteil war. Derzeit befinden wir uns an einem Punkt des Paradigmenwechsels. Die vielen internationalen Organisationen wie die OECD, der IWF, die Weltbank und die ILO sowie die erst kürzlich von der interparlamentarischen Union veröffentlichte Studie zeugen davon.

Ich möchte noch ein paar Worte zu Ihren Beiträgen sagen.

Herr Roca, es geht hier nicht um Planwirtschaft und Festsetzung der Löhne, dies steht nicht im Bericht. Dies ist nur ein Schreckgespenst und nicht Gegenstand des Berichts.

Ein wichtiger und häufig – wie von Frau Blondin – angesprochener Punkt ist die Frage des Protektionismus sowie die Frage der neoliberalen globalisierten Wirtschaft. Wir benötigen sowohl auf nationaler als auch und vor allem auf internationaler Ebene dringend Maßnahmen.

Der Europarat ist ja eine internationale Organisation, die ihre Internationalität dafür nutzen sollte, um zum Beispiel den Kampf gegen Steueroasen und die Abstimmung hinsichtlich Besteuerungen voranzutreiben. Wir brauchen diese internationale Kooperation auf dieser Ebene, denn sonst fürchte ich, dass nationalistische Lösungen an Kraft gewinnen. Das können wir schon beobachten.

Ich möchte zum Schluss auf eine sehr interessante Studie verweisen, die als Buch veröffentlicht wurde. Auf Deutsch heißt es „Gleichheit ist Glück“, was in der deutschen Sprache vielleicht etwas provokant formuliert ist. Die Wissenschaftler Kate Pickett und Richard Wilkinson haben in Langzeitstudien Gesellschaften in Punkto Gleichheit und Ungleichheit verglichen. Auf Grundlage empirischer Daten kamen sie zum Schluss, dass Gesellschaften, die weniger ungleich sind – hier geht es nicht um vollkommene Gleichheit – insgesamt glücklicher und gesünder sind und es weniger Angst, Drogensucht gibt und bestimmte gesellschaftliche Probleme weniger stark ausgeprägt sind. Für mich ist das ein sehr schönes Bild.

Zum Schluss möchte ich mich bei Maren Lambrecht vom Sekretariat für die wunderbare Unterstützung danken.

Vielen Dank.