AL17CR14

AS (2017) CR 14
Provisorische Ausgabe

SITZUNGSPERIODE 2017

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(2. Teil)

BERICHT

14. Sitzung

Mittwoch, 26. April 2017, 10.00 Uhr

Gisela WURM, Österreich, SOC / SOC
(Dok. 14284, Berichterstatterin)

Danke Frau Präsidentin,
sehr geehrte Damen und Herren!

Wir diskutieren heute den Bericht „Schutz von Frauen und Mädchen auf der Flucht vor geschlechtsspezifischer Gewalt“. Hinter diesem Titel und diesem Anliegen verbergen sich hunderttausende, Millionen von Schicksalen von Menschen, in diesem Fall von Frauen.

Als ich 2015 den Bericht begonnen habe und die „Motion“ gesetzt habe, waren über eine Million Menschen unterwegs, die aus kriegsgeschüttelten Ländern flohen, um einen sicheren Hafen zu finden. Damals kamen vor allem junge Männer nach Europa, aber spätestens im Jahr 2016 hat sich das Blatt gewendet und Frauen begaben sich ebenfalls auf die Flucht. Viele Frauen waren mit ihren Kindern oder oft älteren Angehörigen unterwegs und hatten nichts außer einen kleinen Plastikbeutel bei sich. Sie flohen aus ihrer Heimat, um ihr nacktes Leben zu retten.

Anschließend mussten sie allen möglichen Gefahren trotzen, oft bereits im eigenen Land, um ihre eigene Integrität zu schützen. Hier spreche ich von Vergewaltigungen, erzwungener Prostitution, sexueller Belästigung usw.

Diese Frauen kamen anschließend nach Europa und wurden in Ankunftszentren mit Bedingungen aufgenommen, die keine Rücksicht auf die besonderen Bedürfnisse von Frauen nehmen. Dies ist wichtig zu erwähnen, da es teilweise um leicht lösbare Dinge geht wie besser beleuchtete Wege zu den Sanitäranlagen, damit Frauen nicht befürchten müssen, auf dem Weg dorthin Gewalt zu erleiden. Auch gab es oft keine separaten Schlaf- oder Waschräume. Diese Bedingungen waren nicht selbstverständlich. Dies sollte beachtet werden, darauf zielt mein Bericht ab.

Während der Befragungen in den Ankunftsländern sollte es weibliche Bedienstete und Dolmetscherinnen geben, denen man sein erlittenes Schicksal schildern kann. Des Weiteren sollte es auch weibliche Sozialarbeiterinnen und Ärztinnen geben, wenn man eine Vergewaltigung erleiden musste.

Denn als Frau tut man sich leichter, solche Dinge weiblichem Personal zu erzählen.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Schulung des Personals in den Zentren, an das sich dann die Frauen vertrauensvoll wenden können. Außerdem müssen sich diese Frauen dem Personal in Abwesenheit ihrer Peiniger anvertrauen können, um ihre Aussagen zu machen. Denn es wurde uns in verschiedenen „Fact Finding Missions“ – ob in Berlin oder Schweden – erzählt, dass bei Erstbefragungen von Familien automatisch der Mann und nicht die Frau befragt wird. In einer solchen Notsituation ist es wichtig, beide getrennt und unabhängig voneinander zu befragen. Dies ist ein ebenfalls sehr wichtiger Punkt im Bericht.

Wir haben „Fact Finding Missions“ in Deutschland und Schweden durchgeführt. Wir haben diese beiden Länder ausgewählt, weil dort die meisten Flüchtlinge ankamen. Wir wollten sehen, wie es den Flüchtlingen vor Ort geht, wie läuft die Integration ab, welche Möglichkeiten bieten sich ihnen, wie wird man auf die Tatsache vorbereitet, dass Frauen und Mädchen mit großen Traumata kommen. In vielen Fällen gibt es die entsprechende gesundheitliche Vorsorge, den Zugang zu verschiedenen Möglichkeiten um sich zurecht-finden zu können.

All das war uns wichtig. Als wir bei verschiedenen Hearings hier im Haus oder in Brüssel die Schicksale hinsichtlich dessen, was die Frauen erlebt hatten, zu hören bekamen, hat das niemanden kalt gelassen.

Ich bin umso mehr von der Bedeutung dieses Berichts überzeugt. Auch hinsichtlich der in Europa aufgrund der Flüchtlingskrise herrschenden Problematik. Wir müssen in unseren Ländern eine kritischere Meinung vertreten und nicht vergessen, dass es sich hier um Menschen und Menschenschicksale handelt. Wenn wir an unsere Werte, an die Menschenrechte glauben, müssen wir hier helfen.

Bevor ich nun schließe und anschließend auf Ihre Fragen antworte, möchte ich mich sehr herzlich bei Elodie Fischer bedanken. Sie ist heute nicht da, denn sie bekommt ein Baby und ist schon in guter Erwartung. Ohne sie wäre der Bericht nicht so zustande gekommen.

Des Weiteren möchte ich mich beim Sekretariat für die wunderbare Unterstützung bedanken. Ich bin überzeugt, dass uns etwas Gutes gelungen ist. Außerdem bedanke ich mich auch bei der Co-Berichterstatterin und bei Ihnen allen, die hier mitgearbeitet haben, damit dieser Bericht vollständig wird. Ich glaube, das ist uns gelungen.

In diesem Sinne herzlichen Dank.

Gabriela HEINRICH, Deutschland, SOC / SOC
(Dok. 14284)

Sehr geehrte Frau Vorsitzende,
liebe Kolleginnen und Kollegen!

Zuerst möchte ich Gisela Wurm für ihren sehr engagierten Bericht danken.

Sie haben die Finger in die Wunde gelegt und uns Frauen in Fluchtsituationen vor Augen geführt. Die Fluchtsituationen, die Sie beschreiben und die wir kennen sind wirklich schrecklich.

Wie der Bericht deutlich zeigt, hakt es tatsächlich immer noch an den grundsätzlichen Voraussetzungen, um Frauen, die zu uns kommen, wenigstens in unseren Ländern vor sexueller Gewalt zu schützen: Wenn Schlüssel fehlen, um Toiletten oder Duschen abzuschließen, wenn immer wieder über sexuelle Übergriffe gegenüber alleinstehenden Frauen in Unterkünften für Flüchtlinge berichtet wird, dann müssen wir uns schon fragen, ob wir hier die Standards verwenden, die wir für uns selbst ganz selbstverständlich in Anspruch nehmen möchten.

Es ist auch leider richtig, wenn Gisela Wurm berichtet, dass geschlechtsspezifische Asylgründe häufig nicht ausreichend beachtet werden und die notwendige Sensibilität fehlt, um Frauen in den Anhörungsverfahren überhaupt die Möglichkeit zu geben, sich entsprechend öffnen zu können, um über ihre Erfahrungen zu berichten.

Diese Frauen fliehen vor Krieg und Verfolgung, sie haben unerträgliches Leid gesehen. Sie müssen permanent auf der Hut sein vor sexueller Gewalt, manche sind gezwungen ihren Körper zu verkaufen, um weiter zu kommen. Wenn wir feststellen, dass die Zahl von frühverheirateten jungen Mädchen stark ansteigt, dann liegt das auch daran, dass Familien verzweifelt versuchen, ihre Mädchen zu schützen – in den Camps und auf dem Weg in ein sicheres Land.

Wir in Deutschland müssen uns da genauso an die eigene Nase packen. Wir haben jetzt im März endlich die Ratifizierung der Istanbul-Konvention auf den Weg gebracht. Bis Ende dieses Jahres soll es in 100 Sammelunterkünften Schutzkonzepte für Frauen geben und sie sollen umgesetzt werden.

Auch hier brauchen wir deutlich zu lang, um die Notwendigkeit der Maßnahmen durchzusetzen, um die nötigen finanziellen Mittel bereitzustellen, obwohl es so viele motivierte und engagierte Flüchtlings-helferinnen und -helfer gibt.

Ich möchte zum Schluss noch den Familiennachzug ansprechen, der in diesem Bericht ebenfalls erwähnt wird. Wer sich vorstellen kann, wie gefährlich die Flucht ist, wundert sich vielleicht nicht, dass sich zu Beginn vor allem Männer auf den Weg gemacht haben – natürlich in der Hoffnung, ihre Frauen und Kinder nachholen zu können. Wenn wir diesen Familiennachzug verweigern, machen wir uns mitschuldig, wenn Frauen schutzlos in ihren Ländern warten müssen – in Lebensgefahr und in unendlichem Leid. Wir machen uns auch mitschuldig, wenn sie sich dann auf den Weg machen und verzweifelt versuchen, ihren Männern zu folgen. Denken wir nur einen Moment daran, es wären unsere Frauen, unsere Schwestern, unsere Töchter.

Vielen Dank.

Stefan SCHENNACH, Österreich, SOC / SOC
(Dok. 14284)

Danke sehr Frau Präsidentin,
liebe Kolleginnen und Kollegen!

Selten gibt es einen Bericht, der so aufrüttelt und den man Zeile für Zeile unterschreiben kann. Einen herzlichen Dank an Gisela Wurm.

Als ich vor drei bzw. vier Jahren im Rahmen der Union für das Mittelmeer Flüchtlingslager inspiziert habe, war ich schockiert. Damals habe ich überall, in Brüssel, Genf und Paris auf die besondere Situation von Mädchen und jungen Frauen hingewiesen.

Die Traumata der Frauen beginnen in der Konfliktregion, setzen sich auf den Fluchtrouten fort und wenn sie dann in einem Flüchtlingslager ankommen, sind sie noch immer nicht auf sicherem Boden. Im Flüchtlingslager Al Zatari zum Beispiel, haben Männer beschlossen, kein Licht in den Frauentoiletten zu haben. Diese Zonen werden „Rape-Zonen“ genannt. Die UNHCR hat damals gemeint, man hätte doch Fußballplätze gebaut damit weniger vergewaltigt werde. Das ist keine passende Antwort für eine UN-Organisation.

Hier hat sich Einiges verbessert. Wenn man aber nach Kenia in die Flüchtlingslager der vor den Al-Shabaab Milizen Fliehenden blickt oder nach Jemen, wo Menschen vor Boko Haram fliehen, sieht man, dass sich diese Situation dort fortsetzt. Ganz besonders auf den Afrikarouten werden Unmengen an Frauen versklavt. Auch in Libyen ist dies der Fall, obwohl es dort viel Unterstützung gibt.

Gisela Wurm hat in ihrem Bericht aber auch festgehalten, dass wir hier diese traumatisierten Frauen nicht ständig mit männlichem Personal – männlichen Beamten, Polizisten – konfrontieren dürfen. Sie bedürfen eines besonderen Verständnisses durch geschultes weibliches Personal, denn sie sind alle traumatisiert.

Vor Ort benötigen wir sichere Flüchtlingslager mit internationalem Personal, die nur für junge Mädchen, Frauen und junge Mütter vorgesehen sind. Dies wäre dringend notwendig.

In der Folge sollten wir berücksichtigten, wie auch meine Kollegin Heinrich gesagt hat, dass nicht alle Kinderehen aus Brutalität geschlossen werden. Wir müssen uns dieser Situation in Europa stellen und ich würde Gisela Wurm anregen, zu diesen hier in Europa angekommenen Kinderehen mit bereits 12- und 13-jährigen Schwangeren einen eigenen Bericht zu erstellen. In der Oktober-Sitzung sollten wir ein Update aller Mitgliedsländer machen mit einer Erklärung, ob die Istanbul-Konvention von allen mittlerweile unterzeichnet wurde.

Hier benötigen wir maximalen Druck, das ist unsere Verantwortung. Vielleicht können das Komitee und Herr Generalsekretär Jagland ein Schreiben an jedes einzelne Mitgliedsland richten, damit wir im Oktober Zwischenbilanz ziehen können.

Danke schön.

Gisela WURM, Österreich, SOC / SOC
(Dok. 14284, Antwort der Berichterstatterin)

Danke Frau Präsidentin,
sehr geehrte Damen und Herrn!

Ich möchte mich ganz herzlich bei das von Ihnen ausgesprochene Lob an meinem Bericht bedanken und in diesem Zusammenhang den berühmten österreichischen Bundeskanzler Bruno Kreisky zitieren: "Sie glauben gar nicht, wie viel Lob ich ertragen kann." In diesem Sinne noch einmal herzlichen Dank!

Mein Dank geht auch an all jene, die sich an dieser Debatte beteiligt haben. Stefan Schennach, der den Vorschlag unterbreitet hat, die Istanbul-Konvention allen Ländern noch einmal in Erinnerung zu rufen, damit sie unterzeichnet wird. 22 Länder haben schon unterzeichnet, wir sind aber 47 Länder hier. Lassen Sie uns Druck machen, damit wir dieses Update schaffen und entsprechend gehandelt wird.

Warum ist dieser umfassende, in dieser Konvention verankerte Gewaltschutz für Frauen so wichtig? Er ist deshalb so wichtig, weil er den Inhalt der Konvention für diese Staaten verpflichtend macht. Das ist einer der Gründe dafür, dass es so zäh ist, diese Konvention in den Mitgliedsstaaten zu implementieren.

Ich möchte auf einige weitere Beiträge der Debatte eingehen. Wenn Frau Crozon sagt, dass es ihr gelungen ist, die Möglichkeit auf alleinige Anhörungen für die Opfer in den Gesetzen von Frankreich zu verankern, ist das ein wichtiger Schritt.

Frau Ohlsson hat darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, die Freiwilligenarbeit zu würdigen. Frau Ohlsson hat in Schweden ein wunderbar geführtes Frauenhaus für somalische Frauen gegründet, das wir besuchen durften und wo uns stolze Frauen ihr neues Leben präsentiert haben. Das hat uns und den Frauen Mut gegeben.

Ein weiteres wichtiges Thema, das von einer Rednerin aus dem Vereinigten Königreich angesprochen wurde: Mut und Hoffnung; Mut für die Frauen, trotz ihrer traumatischen Erlebnisse.

Ich möchte Ihnen ein Schicksal schildern: Eine Frau aus dem Irak, nun in Berlin in einem Ankunftszentrum hat uns geschildert, was sie zur Flucht bewogen hat. Diese Frau hat miterlebt, wie ihr Partner vor ihren Augen erschossen und – dem nicht genug – ihr darüber hinaus angedroht wurde, dass ihre 12- bis 13-jährige Tochter zwangsverheiratet wird. Daraufhin hat sie ihre Sachen gepackt und ist mit nahezu nichts geflohen und dann hier in einen sicheren Hafen gekommen, in diesem Fall in Berlin.

Wenn man diese und andere Frauen trifft und sie danach fragt, was sie sich am meisten für ihr Leben und den Ort, wo sie jetzt Zuflucht gefunden haben, wünschen, dann kam als erste Antwort immer: Frieden! Darüber hinaus wünschen sie sich hinaus, dass ein entsprechendes Leben da, wo sie sich gerade aufhielten, möglich ist.

In diesem Zusammenhang hat Frau Gafarova, die Generalberichterstatterin gegen Gewalt an Frauen unseres Ausschusses darauf hingewiesen, wie wichtig der Zugang zu Bildung für diese Frauen ist und wie wichtig es, ist, dass die jungen Frauen, die Mädchen auch die Möglichkeit haben, Schulen und Kindergärten zu besuchen. Das ist in vielen Bereichen für Frauen und Kinder die Eintrittskarte zur Integration.

Ich freue mich, dass wir mit diesem Bericht auch Anregungen für Folgeberichte gegeben haben: Folgeberichte von Kollegin Heinrich, von Kollegin Huovinen aus Finnland. All das muss darauf abzielen, dass wir diese Frauen, diese Menschen, die hier einen sicheren Hafen suchen, nicht vergessen.

Der griechische Präsident wird in wenigen Minuten zu uns sprechen und obwohl Griechenland zu den Ländern gehört, in denen viele Flüchtlinge anfänglich ankommen, hat der griechische Präsident vor kurzem gesagt: solange diese Menschen in ihren eigenen Ländern keinen sicheren Hafen haben, sind sie bei uns immer willkommen.

In Bezug auf Italien und die Wortmeldung von Kollegen Kronbichler im Hinblick auf die schwierige Situation wegen der langen Grenze in Italien, dem Ankommen der Flüchtlinge und auch der Frage der Freiwilligkeit in diesem Zusammenhang möchte ich betonen, wie wichtig es ist, dass wir jene Länder, die oft als erstes mit den Problemen der Flüchtlinge konfrontiert sind, nicht allein lassen.

Wir dürfen die Solidarität in unseren Ländern nicht vergessen, wir müssen solidarisch handeln, wenn es darum geht, zu helfen. Keine Außengrenze zum Meer oder einem Kriegsland zu haben, heißt nicht, dass man sich komplett heraushalten kann.

Lassen Sie uns in diesem Sinn solidarisch mit all jenen sein, die Hilfe brauchen. Wir dürfen sie nicht vor unseren Türen verhungern lassen.

Thomas FEIST, Deutschland, PPE/DC / EPP/CD
(Fragen an Prokopis Pavlopoulos, Präsident der Hellenischen Republik)

Vielen Dank Herr Präsident,
dass Sie uns noch einmal eindrücklich unsere Grundlagen der repräsentativen Demokratie vor Augen geführt haben.

Demokratie lebt von Teilhabe und ich bin Ihnen dankbar dafür, dass Sie wirtschaftliche und soziale Teilhabe angesprochen haben. Nach unserem Verständnis fängt gesellschaftliche und soziale Teilhabe nicht an, wenn man einen Hochschulabschluss hat, sondern wir müssen alle Gesellschaftsschichten erreichen.

Deshalb meine Frage: Sind Sie auch der Meinung, dass wir uns in diesem Gremium für Bildung, Berufs- und Hochschulbildung noch stärker einsetzen sollten?

Viele Dank.