AL17CR26

AS (2017) CR 26
Provisorische Ausgabe

SITZUNGSPERIODE 2017

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(3. Teil)

BERICHT

26. Sitzung

Donnerstag, 29. Juni 2017, 15.30 Uhr

Stefan SCHENNACH, Österreich, SOC / SOC

(Dok. 14339, Berichterstatter)

Danke schön, Frau Vorsitzende!

Dieser Bericht über die politische Einflussnahme, den politischen Druck auf Journalisten und Medien kommt zu einer Zeit, in der man sagen muss, dass die Freiheit und Vielfalt von Medien in einer Art und Weise bedroht sind, wie es das früher nicht gegeben hat.

Journalistinnen und Journalisten werden physisch bedroht, in unglaublichen Anzahlen inhaftiert, in andere Länder entführt, ihre Familien werden bedroht.

Aber auch die Medien sind einem unglaublichen Druck ausgesetzt – durch Angst vor Schließung, vor Verfolgung, vor Entzug der wirtschaftlichen Grundlagen. Die Freiheit der Presse zu schützen, die Freiheit der Ausübung des Berufs des Journalisten zu schützen ist eine Grundaufgabe einer Demokratie und eines Staates. Dieser Aufgabe kommen viele Staaten jedoch nicht nach. Das Erschreckende ist, dass das in vielen Fällen mitten in den modernen Demokratien geschieht.

Die berühmte Schriftstellerin Ingeborg Bachmann schrieb einmal: Die Wahrheit ist zumutbar.

In der Rangliste der Pressefreiheit müssen wir bei 62% der 180 untersuchten Staaten eine starke Verschlechterung feststellen. In Europa betrifft das z.B. Polen, das auf den 54. Platz abgefallen ist, Ungarn, das auf den 71. Platz abgefallen ist, Russland, das sich auf dem 148. Platz befindet und die Türkei, die mit der größten Anzahl an inhaftierten Journalisten und der größten Zahl geschlossener Medien gar nur noch den 155. Platz einnimmt. Glückwunsch dagegen an Norwegen: Es nimmt den 1. Platz ein – auch das ist neu.

Doch noch etwas besonders Gefährliches ist zu beobachten: Wenn politische Würdenträger und Führungspersönlichkeiten anfangen, Misstrauen gegenüber den Medien zu hegen und von „Lügenpresse“, „Fake News“ zu sprechen, wie Herr Trump, der Präsident der USA, bedeutet das, dass sie die Aufgabe der vierten Kraft im Staat unterminieren, nämlich der Medien. Sie schüren Misstrauen. Sie versuchen, das Vertrauen der Bevölkerung in Nachrichten zu untergraben.

Das ist eine ganz gefährliche Sache, denn genau sie sind der Absender von Falschmeldungen. „Check and re-check“ gehören noch immer zu den wichtigsten Dingen, zu den Hauptaufgaben von Medien. Ich möchte Ihnen zwei Zitate von Christophe Deloire bringen, dem Generalsekretär von Reporter ohne Grenzen. Er sagt (Zitat auf Englisch):

„It is unfortunately clear that many of the world’s leaders are developing a form of paranoia about legitimate journalism.”

“The index showed a deep and disturbing decline in respect for press freedom and a climate of fear and tension combined with increasing control over newsrooms by governments and private sector interests”.

Das sind die beiden sehr gefährlichen Entwicklungen, die wir hier feststellen müssen.

Das Ziel davon ist es, Medien und Journalisten, die z.B. investigativ recherchieren, das Arbeiten unmöglich zu machen und ein Klima der Angst zu schaffen, um sie zum Schweigen zu bringen.

Eine andere Waffe dient ihnen dazu, die keine Kontrolle kennt: die social media, die in Sekundenschnelle millionenfach nicht überprüfte Meldungen weitergeben können. Dabei gibt es sehr viel Fremdenfeindlichkeit und Rassismus.

Auf einige Dinge lege ich in diesem Bericht Wert: Wir haben einen öffentlich-rechtlichen Sektor, das public broadcasting. Zweitens haben wir einen privaten Sektor und drittens einen non-profit-Sektor, Bürgermedien wie z.B. Stadtteil-Radio, Migration Radio usw. Diese drei Säulen sind ganz unterschiedlich.

Wir als Europarat müssen sagen, dass eines unserer höchsten Güter das öffentlich-rechtliche Fernsehen ist. Das soll jedoch niemand missverstehen; ich war schockiert, als einmal ein Mitglied unserer Versammlung erklärte, dass die öffentlich-rechtlichen Medien im Besitz der jeweiligen Regierung seien!

Wir müssen alles daran setzen, um die Unabhängigkeit öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Radioschaffens zu garantieren, das gehört zum Allerwichtigsten. Vor allem die Finanzierung darf nicht von der jeweiligen Regierung abhängig sein. Sie darf nicht davon abhängen, ob das öffentlich-rechtliche Radio oder Fernsehen nun die Regierung unterstützt oder kritisiert. Kritisch zu berichten ist die Aufgabe aller Medien.

Die BBC, die Mutter aller öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Radiostationen, soll ein Beispiel geben. Wir brauchen gänzlich unabhängige Behörden, am besten mit Zweidrittelmehrheit gewählt und mit Richtern ausgestattet, die in Medienfragen Entscheidungen treffen. Die Finanzierung sollte am besten über Gebühren gesichert werden. Ich weiß, dass das in manchen Mitgliedsstaaten des Europarates unüblich ist. Aber es muss ein Ziel sein, diese Unabhängigkeit, diese Loslösung von der Regierung zu erreichen.

Ich habe für den Europarat an der Konferenz der Public Service Broadcaster in Prag teilgenommen und dort diese Angst gespürt, von Regierungen in Geiselhaft genommen zu werden. Wenn wir uns anschauen, was in manchen unserer Mitgliedsstaaten hier passiert, welch unglaublicher Druck auf das öffentlich-rechtliche Medienwesen ausgeübt wird, so müssen wir alles unternehmen, um genau diesen besonderen Wert zu schützen.

Öffentlich-rechtlich ist nicht privat, sondern ein Gut für sich. Umgekehrt müssen wir jedoch an das öffentlich-rechtliche Medienwesen die Forderung stellen, exemplarisch zu zeigen, wie Journalismus geht, nämlich ohne Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Sexismus, und auf der Basis von „Check and re-check“ zu arbeiten.

Das ist im Wesentlichen die Grundlage dieses Berichts. Ein Teil wurde hier weniger ausgeführt, nämlich der Bereich „social and online journalism“, zu dem die Vorsitzende, Frau Gambaro, hier einen Bericht vorlegte. Daher wurde dieser Bereich nicht in den vorliegenden Bericht hineingenommen.

Aber wir müssen auch ein großes Augenmerk auch auf die künftigen Entwicklungen richten.

Mir bleiben noch wenige Minuten, die ich zur Antwort verwenden möchte.

Danke schön.

Stefan SCHENNACH, Österreich, SOC / SOC

(Dok. 14339, Antwort des Berichterstatters)

Sehr geehrter Herr Präsident!

Ich möchte Sie ersuchen, mir eine Minute Redezeit zu schenken, da so viele grundsätzliche Fragen aufgeworfen wurden.

Ich bleibe gleich bei den letzten Rednerinnen und Rednern. Ich fürchte, ich sorge jetzt gerade für die Nein-Stimmen.

Man würde diesen Bericht grundsätzlich missverstehen, wenn man glaubt, dass eine Regierung darüber zu entscheiden habe, was verzerrte und was inhaltlich richtige Medien sind. Dafür braucht man eine unabhängige Medienbehörde für das Öffentlich-Rechtliche und eine selbstregulative Körperschaft der Medien selbst. Aber nicht die Regierung sagt, was richtig und was falsch ist!

Die letzte Rednerin sagte, die Medien müssten den Willen des Volkes widerspiegeln – was ist bitte der Wille des Volkes, wenn es 51 zu 49 steht? Der Wille des Volkes ist, dass 51% etwas gut und 49% etwas falsch finden. Die 49% müssen in den Medien genauso abgebildet werden wie die 51%. Das ist der Wille des Volkes, dass beide Seiten in gleichem Maße zu Wort kommen!

Dann kommen wir zum Prinzipiellen einer Berichterstattung – was heißt hier „neutral“? Die Aufgabe der vierten Säule in unserem Staat ist die Kontrolle der Politik und der Gesellschaft; das ist nicht neutral, sondern muss immer in eine Kritik und in Vorschläge aus den Medien münden. Das ist die Aufgabe von Medien, nicht die Verlautbarung einer Regierungspolitik.

Zum nächsten Punkt, der angesprochen wurde: Der Europarat hat klargemacht, dass es in keinem einzigen Mitgliedsland einen strafrechtlichen Paragraphen geben soll, aufgrund dessen so viele Journalistinnen und Journalisten in Gefängnissen sitzen: Diffamierung. Kritik ist nicht dasselbe wie Diffamierung. Jeder Staat, jede staatliche Institution, jede Behörde muss Kritik aushalten.

Ich kann das Wort Diffamierung in Zusammenhang mit Journalismus nicht mehr hören. Ich bin Berichterstatter des Europarates in der Kommunikation mit dem Ministerrat. Wenn wir uns all die Nicht-Antworten an unsere Versammlung anschauen, dann haben diese alle immer diesen Hintergrund. Dazu werde ich Ihnen auch hier im Plenum einen Bericht bringen.

Zu Herrn Munyama aus Polen: Sie haben vollkommen recht, öffentlich-rechtliches Fernsehen darf in seiner privatwirtschaftlichen Kapazität nicht 50% übersteigen. An Ihre Adresse sage ich: Eine der schlimmsten Nachrichten im öffentlich-rechtlichen Sektor ist, dass Ungarn und Polen (von denen ich vorher sagte, dass sie ganz tief gefallen sind), gemeinsam versuchen, einen staatlichen Kontra-Sender aufzustellen. Das ist nicht gut.

Der nächste Punkt betrifft den Online-Bereich. Ich habe diesen nicht so stark behandelt, weil Madame Gambaro dazu ja bereits etwas verfasst hat. Aber Eines ist überaus wichtig: Wenn wir von der Bildungsfrage reden, so brauchen wir digitale Kompetenz. Diese müssen wir an den Schulen üben, damit Kinder wissen, was sein kann, was nicht sein darf, was sie glauben können und was online nichts zu suchen hat. Diese digitale Kompetenz müssen wir unseren Kindern mitgeben.

Ich gratuliere Kanada. Ohne es auszusprechen, haben Sie mir übrigens noch ein Stichwort geliefert. Ich kenne Ihr Land sehr gut und möchte deshalb etwas dazu sagen. Es gibt noch etwas, was das öffentlich-rechtliche Medienwesen zur Verfügung stellen muss, nämlich eine Konvention über die Minderheitensprachen. Es sind Medien für Minderheiten und Ethnien in einem Land abgesichert zur Verfügung zu stellen, damit diese in ihren Sprachen kommunizieren können.

Ich möchte mich ganz speziell noch einmal bedanken – einer der Grundsätze des Journalismus ist investigativer Journalismus. Er hilft uns gegen die Korruption und vieles andere. Ich möchte noch einmal auf den Bericht von Gülsün Bilgehan verweisen, der sozusagen im Gedanken Bestandteil dieses Berichts ist.

Lieber Valerio! Kritisch zu sein ist nicht automatisch links. Ich kenne die deutsche Medienlandschaft sehr gut. Dass hier mehrheitlich Linke sein sollen, bei dieser Feststellung würde die Frankfurter Allgemeine Zeitung Sie gleich exkommunizieren. Alle diese wichtigen Zeitungen sind kritisch, aber kritisch ist nicht automatisch links.

Sie haben hier über unverzerrte Nachrichten gesprochen. Da ist es genauso wichtig, dass jene moldawischen Fernsehanstalten, die ihre Eigentumsverhältnisse im Ausland geregelt haben, im Inland einen „Striptease“ ihrer Eigentumsverhältnisse präsentieren. Aber ich werde diese Sache, die Herr Simms aufgegriffen hat, speziell anschauen.

Und nun einen letzten Satz, den ich auch an Ihre Adresse sage, Frau Zohrabyan. Ich habe hier extra keine Einzelfälle gebracht. Sie werden im Oktober einen Bericht zu Aserbaidschan haben, aber Herr Kandelaki hat mich dazu ermuntert. Ich habe ein Gespräch mit der georgischen Delegation geführt und vertraue dieser, dass es im Fall Afgan Mukhtarli eine Untersuchung geben wird. Als ich am Anfang meiner Rede sagte, dass Journalisten verschleppt werden, habe ich damit genau diesen Fall angesprochen.

Herrn Huseynov möchte ich sagen: Wenn am 22. Juli der Tag der Medienfreiheit in Aserbaidschan begangen wird, bitte ich, dass an diesem Tag zwei Menschen nicht mehr in Haft sind, nämlich Afgan Mukhtarli und Mehman Huseynov.

In diesem Sinne bedanke ich mich noch einmal. Die Medien und der Pluralismus verdienen unsere Verteidigung, denn wenn für die Medien keine Luft zum Atmen mehr da ist und sie nicht schreiben können, was sie ihrer eigenen Verpflichtung nach schreiben müssen, dann ist auch für uns die Luft dünn geworden.

Wenn jedoch Journalisten nicht wegen „Diffamierung“ in Haftanstalten kommen, dann haben wir eine Chance, aus dieser Sackgasse, in die wir in den letzten Jahren gelangt sind, herauszukommen.

Es ist eine der Grundaufgaben des Europarates, die Pressefreiheit und den Pluralismus mit aller Kraft zu verteidigen.

Danke schön.