AL18CR34

AS (2018) CR 34
Provisorische Ausgabe

SITZUNGSPERIODE 2018

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(4. Teil)

BERICHT

34. Sitzung

Donnerstag, 11. Oktober 2018, 10.00 Uhr

Stefan SCHENNACH, Österreich, SOC
(Dok. 14622, im Namen der Berichterstatterin in seiner Funktion als Ausschussvorsitzender)

Danke sehr Frau Präsidentin!

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Zum zweiten Mal in dieser Woche habe ich die Ehre, einen Bericht aus meinem Ausschuss zu präsentieren, der zwar nicht aus meiner Feder stammt, aber als Ausschussvorsitzender stehe ich hinter jedem, aus dem Ausschuss kommenden Bericht.

Frau Günay hat diesen Bericht erstellt, aber nach der letzten Ausschusssitzung und nachdem ein Amendment nahezu einstimmig angenommen wurde, hat sie erklärt dieser wäre nicht mehr länger ihr Bericht, von dem sie zurückgetreten ist. Trotzdem möchte ich mich sehr, sehr herzlich bei ihr für ihre Arbeit bedanken.

Ganz am Beginn möchte ich eine institutionelle Rüge in Richtung der Internationalen Atomenergiebehörde richten, die sich geweigert hat, an diesem Bericht mit dem Europarat zusammenzuarbeiten. Das ist in meinen Augen unerhört und unverständlich und ich werde diesbezüglich keine Ruhe geben und noch einmal ein entsprechendes Meeting mit der Internationalen Atomenergiebehörde in die Wege leiten, auch wenn dies im Rahmen einer neuen Motion gemacht werden muss.

Wir können das institutionell nicht akzeptieren, dass eine Organisation wie die Internationale Atomenergie-behörde einfach den Dialog verweigert – auf Deutsch würde man dies als „politisch unanständig“ definieren. Deshalb bringe ich meine Kritik zu Protokoll.

Frau Günay hat versucht, in diesem Bericht keine Position zwischen den Pros und Kontras für Atomenergie zu beziehen. Ich bin aber anders, ich komme aus Österreich. Wir haben das sicherste Atomkraftwerk der Welt, denn die Bevölkerung konnte in einem Referendum im Anschluss an seine Fertigstellung entscheiden, ob es in Betrieb geht oder nicht, und diese hat mit 50,5 % entschieden, dass das AKW niemals in Betrieb gehen würde. 20 Jahre später wurde diese Entscheidung in den Verfassungsrang gehoben.

Deshalb möchte ich an Beginn meiner Präsentation an einen wunderbaren Wissenschaftler, Erwin Chargaff (*1905 in der Bukowina, † 2002 in New York) erinnern. In seinem Buch „Das Feuer des Heraklit“ schrieb er – er war einer der führenden Chemiker der Welt und wir verdanken ihm u. a. die DNA-Analyse –: „Zwei verhängnisvolle wissenschaftliche Entdeckungen haben mein Leben gezeichnet, zuerst die Spaltung des Atoms, zweitens die Aufklärung der Chemie der Vererbung. In beiden Fällen geht es um die Misshandlung eines Kerns, des Atomkerns und des Zellkerns. Und beide Misshandlungen führen die Menschheit an den Rand des Abgrunds“.

Ich denke, was Erwin Chagraff in seinen Skizzen aus einem Leben vor der Natur niedergeschrieben hat, sollte uns alle nachdenklich stimmen, einerseits die Atom- andererseits die Gentechnologie.

Schwerpunkt dieses Berichts ist daher mehr Transparenz. Das gesamte Atom-Business ist undurchsichtig. Dort, wo Menschen entscheiden dürfen, stimmen sie in der Regel mit Nein, was man beim Referendum in Italien gesehen hat: Dort hat die Bevölkerung auf Berlusconis Frage, ob man ein Atomkraftwerk haben wolle, mit Nein geantwortet. Das Gleiche ist in Österreich, Litauen und Luxemburg passiert. Das bedeutet, dass wir eine Technologie außerhalb jeglicher demokratischer Kontrollen implementieren, deren Technik und Folgen von uns nicht abgeschätzt werden können und deren Ruinen wir über hunderte Jahre den nachfolgenden Generationen als „strahlende“ und lebensgefährliche Objekte hinterlassen.

Wenn ich mich richtig erinnere steigt Deutschland 2022 aus der Atomtechnologie aus. Im vorliegenden Bericht geht es um ein Atomkraftwerk in Weißrussland, das in Grenznähe mit Litauen gebaut wird. Sieht man sich die Landkarte der Atomkraftwerke in Europa an, von denen wir mit über 180 verteilt auf 17 Länder genug haben, kann man beobachten, dass diese fast immer an der Grenze zu anderen Staaten platziert sind. In diesen Fällen benötigt man Dialogmechanismen und zu Recht. Denn nach all den verheerenden Katastrophen wie auf Three Mile Island, in Fukoshima und Tschernobyl wissen wir, wie gefährlich diese Technologie ist. Bis heute wissen wir nicht, wie wir diese Produkte endlagern können.

Insofern ist etwas aus der Kontrolle geraten. In meinem Land z. B. – und Tschernobyl liegt nun wirklich weit zurück – haben wir immer noch Cäsium-Belastungen im Honig, in Beeren usw. Eine Cäsium-Wolke kennt keine Staatsgrenzen und zu nahe liegende Hauptstädte sind schwer bedroht. Im vorliegenden Fall Belarus handelt es sich um Vilnius. Das ist inakzeptabel. Außerdem erfolgt die Kühlung in Ostrovets mit jenem Wasser, das anschließend in die Stadt Vilnius fließt. Wir erhöhen die Risiken.

Der Großteil der Flotte der noch heute in Europa existierenden Atomkraftwerke ist völlig überaltert. Da stellt sich nicht die Frage, wie man ein solches Atomkraftwerk sichern kann, sondern vielmehr wie man aus dieser brandgefährlichen Technologie aussteigt.

Ich verstehe, dass die Internationale Atomenergiebehörde – wir hatten diese Diskussion im Ausschuss – nun versucht, die Langlebigkeit von Atomkraftwerken mit dem Klimawandel in Verbindung zu bringen. Das eine hat aber mit dem anderen nichts zu tun. Das ist die Sprache einer Lobbying-Agentur.

Ich warne noch einmal – es gibt ein in diese Richtung gehendes Amendment –, dass ich im Ausschuss ganz dezidiert abgelehnt habe, denn der beste Weg den Klimawandel zu bekämpfen, ist Energieeffizienz und der Umstieg in erneuerbare Energien und nicht in Atomenergie. Dies ist eine Technologie, deren Gefahren wir nicht in der Hand haben und bei der wir vielen nachfolgenden Generationen ein „strahlendes“ Erbe hinterlassen, für das wir heute aus kurzfristiger Sicht die Verantwortung tragen.

Ich danke.

Ja hier geht es um die Situation der alten Akw

Andrej HUNKO, Deutschland, UEL/GUE
(Dok. 14622)

Vielen Dank Frau Präsidentin!

Vielen Dank Herr Schennach!

Ich möchte auch der Berichterstatterin Frau Günay für die bisher geleistete Arbeit danken.

Die Vereinigte Europäische Linke unterstützt diesen Bericht, der sich auf die Frage der Sicherheit von Atomkraft, die Frage der grenzüberschreitenden Kooperation und die Frage der Transparenz beschränkt. Es ist kein Bericht, der weitergeht und die Frage danach stellt, wie perspektivisch mit Atomenergie umzugehen ist. Diese Fragen sind dennoch sehr wichtig und deshalb unterstützen wir diesen Bericht.

Herr Schennach hat darauf hingewiesen, dass die Menschen es in einigen ganz verschiedenen europäischen Staaten, in denen Volksabstimmungen durchgeführt wurden – darunter Litauen, Luxemburg, Italien, Österreich – abgelehnt haben, an der Atomenergie festzuhalten. Für diese Länder ist es dann besonders problematisch, wenn an ihrer Grenzen Atomkraftwerke gebaut werden. Das ist offenbar der Fall in Litauen auf belarussischer Seite und auch in anderen Regionen.

Die Frage der Grenzen und der grenzüberschreitenden Kooperation spielt in dem Bericht eine große Rolle. Ich komme auch aus einer Grenzregion, aus Aaachen in Deutschland, an der Grenze zu den Niederlanden und Belgien. Dort gibt es auch ein sehr altes Atomkraftwerk in Tihange mit drei Reaktorblöcken.

Dort gibt es seit vielen Jahren auch in unserer Grenzregion eine sehr intensive Auseinandersetzung, weil meine Stadt Aachen sowie die Stadt Maastricht auf niederländischer Seite gemeinsam mit Dutzenden weiterer Gemeinden und kleiner Städte gegen den Fortbetrieb eines sehr alten und technisch ausgesprochen anfälligen Atomkraftwerkes klagt. Der Prozess dazu findet im November Stadt.

Es gab sogar eine Menschenkette über 70 km von Aachen, über Maastricht und Lüttich bis nach Tihange: 50.000 Menschen, die eine Kette gebildet haben, um ein Signal für die Abschaltung dieses sehr alten Atomkraftwerkes zu setzen.

Im Hinblick auf die Frage der grenzüberschreitenden Kooperation und der Transparenz denke ich, dass die andere Region, der andere Staat, die grenznahe Bevölkerung in einer solchen Frage ein Mitentscheidungs-recht haben sollte. Das wäre sehr wichtig und wurde in dem Bericht auch teilweise angesprochen.

Es war in der Tat beeindruckend, dass fast alle Atomkraftwerke in Europa an Grenzen und nicht im Inland gebaut werden. Wir brauchen hier sehr viel mehr Kooperation und perspektivisch auch eine Kooperation für eine Energiewende hin zu einer nachhaltigen Energieversorgung ohne Atomenergie.

Vielen Dank.

Kęstutis Masiulis, Litauen, EPP/CD
(Dok. 14622)

Ich bin selbst studierter Kernphysiker von Beruf, möchte aber selbst nicht neben einem Atomkraftwerk wohnen. Sie vielleicht, aber ich nicht!

Die litauische Bevölkerung wollte das auch nicht. Wir hatten den Plan der Errichtung einer neuen Atomkraftanlage durch ein japanisches Unternehmen in Litauen. Im eigens dafür organisierten Referendum stimmte das Volk dagegen, wir wollen nicht.

Wir hatten auch ein altes Atomkraftwerk in Ignalina, das mehr als 60 Prozent unserer Energie produzierte. Dieses Atomkraftwerk wurde abgeschaltet.

Da macht uns Lukaschenko ein Geschenk: an der Grenze, 40 km von Vilnius, am Fluss Neris, der durch unsere Hauptstadt – in der ich wohne – fließt, baut er eine Atomkraftanlage, die in diesem Bericht auch erwähnt wird.

Ohne internationale Bedingungen. Es gibt nirgendwo Vorschläge, welche Bedingungen erfüllt sein müssen. Gibt es Vorschläge, diese Bedingungen aufzustellen? Entschuldigung, aber das kann man nicht machen. Im 21. Jahrhundert sollten andere internationale Regeln gültig sein.

Herr Schennach hat richtig gesagt, dass mehrere Atomkraftwerke an Grenzen stehen. Warum nicht an Rapsfeldern, warum nicht im Wald, in Dörfern, sondern neben einer Hauptstadt?

Warum baut Lukaschenko nicht neben Minsk sondern neben Vilnius? Warum hält er sich nicht an die geologischen Gutachten, in denen tektonische Probleme aufgezeigt werden? Gibt es darauf eine Antwort?

Gibt es hier Vorschläge, braucht es keine Antwort? Doch, wir brauchen Antworten und wir brauchen in solchen Anlagen Verantwortung. Dieser Bericht ist besonders wichtig.

Bei einer Störung in dieser Kernanlage wird nicht nur Litauen beschädigt, sondern weite Teile Europas wären von großen Problemen betroffen. Radioaktive Strahlung kennt keine Grenzen!

Wir stehen nur am Anfang unserer Arbeit und ich schlage vor, Herr Schennach, dieses Thema zu vertiefen, denn es gibt keinen ausreichenden internationalen Dialog bei Atomkraftwerken, die an Grenzen stehen.

Ich spreche nicht nur über Litauen. Diese Probleme gibt es überall, aber im 20. Jahrhundert haben wir nicht ausreichend darüber diskutiert.

Bitte unterstützen Sie diesen Bericht!

Andrej HUNKO, Deutschland, UEL/GUE
(Dok. 14622, Amendment 9)

Vielen Dank Herr Präsident!

Wir haben 47 im Europarat. In 17 Ländern gibt Atomenergie. Ich denke nicht, dass man sagen kann „Europe is highly dependent on nuclear energy“. Das gilt vielleicht für einige Länder, aber nicht für Europa insgesamt.

Deswegen schlage ich eine neutrale Formulierung vor, um zu sagen, dass verschiedene Länder Nuklearenergie produzieren, aber keine wertende Aussage zu machen.

Andrej HUNKO, Deutschland, UEL/GUE
(Dok. 14622, Subamendment 1)

Jetzt habe ich meinen eigenen Änderungsantrag, weil es das Wort „many“ für 17 Länder besser trifft als „several“, d. h. viele Länder produzieren Atomenergie.

Andrej HUNKO, Deutschland, UEL/GUE
(Dok. 14622, Amendment 10)

Ja hier geht es um die Situation von alten Atomkraftwerken in Grenzregionen.

Wir hatten heute in der Debatte das Beispiel Tihange, ein belgisches Atomkraftwerk in der Grenzregion Niederlande-Deutschland-Luxemburg. Deswegen bin ich der Ansicht, dass das benannt werden sollte, d. h. alte Atomkraftwerke in Grenzregionen am besonderen Fall von Tihange. Wir haben auch andere Neubauten namentlich erwähnt und ich denke, dass man hier auch so ein Beispiel erwähnen sollte.

Andrej HUNKO, Deutschland, UEL/GUE
(Dok. 14622, Amendment 10, Subamendment 1)

Wenn es um die Benennung konkreter Beispiele der alten Atomkraftwerk geht, wäre ich dafür, das auch namentlich zu tun. Tihange ist ein ganz zentrales Thema in der Auseinandersetzung der letzten Monate und Jahre gewesen und wird es sicherlich auch in Zukunft bleiben.

Deswegen lehne ich dieses Subamendment ab.